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PROJEKTSEITEN KÜNSTLER VON A – Z 

Siegrun Appelt

o.T. (slow light) 

Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung

Lichtinstallation aus 15 LED-Leuchten Supersystem outdoor von Zumtobel 

Liebieghaus Garten

Schaumainkai 71 / Sachsenhausen

U Schweizer Platz, Tram Otto-Hahn-Platz

bitte Öffnungszeiten Liebieghaus beachten

Seit 2016 entführt das Lichtkonzept o.T. (slow light) der Künstlerin Siegrun Appelt BesucherInnen auf eine mystische Entdeckungsreise durch die Gartenanlage des Museums Liebieghaus Skulpturensammlung. Die Villa Liebieg wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Altersruhesitz von dem Textilfabrikant Heinrich von Liebieg an den Münchner Architekten Leonhard Romeis in Auftrag gegeben. Nach dem Tod Liebiegs wurde gemäß seinem testamentarischen Willen die Villa an die Stadt Frankfurt verkauft und zu einem öffentlichen Museum, das um den Galerietrakt erweitert wurde. Mittlerweile verfügt das Museum über 3000 Skulpturen aus insgesamt 5000 Jahre Geschichte mit jährlich mehreren Ausstellungen neben der Dauerausstellung.

Skulpturen und Lichtkunstwerk im Garten

In der umgebenden Gartenfläche sind neben den unterschiedlichen skulpturalen Werken des Museums ebenfalls das Lichtkunstwerk von Siegrun Appelt zu entdecken. Der ökologische Einsatz von Licht, verknüpft mit Funktion und Ästhetik, stehen bei den Lichtkonzepten Appelts im Zentrum. Deshalb nutzt die Künstlerin neueste umweltschonende LED-Technologien, die gezielt in der Außenanlage des Museums eingesetzt werden. Insgesamt verwendet Appelt 15 Leuchtmodule des Typs Supersystem outdoor der Firma Zumtobel für die Beleuchtung der Fassade des Liebieghaus, der Gartenanlage und der Wege. Die Leuchtmodule sind flexibel applikabel und bestehen entweder aus drei dreh- und schwenkbaren LED-Lichttuben oder einer Ausführung mit sechs fixierten Lichtuben.

Für die Wegebeleuchtung entscheidet sich Appelt, die in der Gartenanlage schon vorhandenen historischen Kugelleuchten mit zu nutzen, jedoch auf ihr Konzept hin umzugestalten. Hierfür wurden die ursprünglichen Leuchtmittel der Kugelleuchten durch 1 Watt LEDs mit einer variablen Lichtfarbe ersetzt. Zusätzlich werden die Kugelleuchten durch am Mast befestigte LED-Leuchtmodule angeleuchtet. Für die Fassadenbeleuchtung der Liebiegvilla und des Museums verwendet Appelt insgesamt 5 Leuchtmodule, die mit zurückhaltendem Licht die Struktur und Materialität der Bauten hervorheben. Während zwei Bodenleuchtmodule die Fassade der Liebiegvilla zur Schaumainkaiseite mit den reliefverzierten Fenstern und dem Balkon akzentuieren, strahlt eine weitere Bodenleuchte den äußeren Teil des Galerietraktes an. Zum Innenhof wird die Fassade der Villa von zwei weiteren Leuchtmodulen, die sich auf dem Galerietrakt neben den musealen Haupteingang befinden, hervorgehoben und auf die Terrasse des Cafés geleitet. Zentral in der Gartenanlage befinden sich weitere Leuchtmodule des Lichtkomplexes. In der Mitte der wegumsäumten Grünfläche lassen diese das Buschwerk und die skulpturalen Kunstwerke in der Nacht sichtbar hervortreten.

Achtsamer Einsatz von Licht

Insgesamt wird deutlich, dass Appelt den Einsatz des Lichtes in der Gartenanlage auf ein Minimum reduziert, ohne dessen Funktion des sicheren Fortbewegens in der Dunkelheit zu beeinträchtigen. Die Reduktion spiegelt sich ebenfalls in der Verwendung von verschieden langen Abblendröhren wider, um einerseits zielgerichtet mit minimierter Blendung beleuchten zu können. Anderseits sorgt die Entblendung dafür, dass die Beleuchtung des Gartens so wenig Abstrahllicht wie möglich produziert. Stattdessen wird in Appelts Konzepten von slow light das Abstrahllicht der Umgebung sowie das vorhandene Licht auf dem Areal miteinbezogen und diese als Lichtquelle genutzt. Mit der Berliner Soziologin Dr. Michaela Christ beschreibt sie dieses Vorgehen mit dem Begriff des „Lichtrecyclings“. Ein solcher Einsatz von Licht soll aktiv der vorherrschenden Lichtverschmutzung entgegengesetzt werden. Somit bildet die Dunkelheit einen wichtigen Faktor, den Appelt bewahren möchte und gezielt im Kontrast zum Licht einsetzt. Entsprechend kann der Titelzusatz slow light einerseits an die langsame Gewöhnung des Auges an die niedrigen Lichtverhältnisse gesehen werden. Anderseits spielt der Titel auf den Verbrauch von Energie an.

Die Sonne, als einer der wichtigsten Energielieferanten für Leben auf der Erde, bestimmte und begrenzte bis zur Industrialisierung den Energieverbrauch. Durch den Zugriff auf fossile Brennstoffe ist der Energieverbrauch eines einzelnen Menschen um das zwanzigfache gestiegen. „Langsames Licht, verstanden als das an den natürlichen Energiefluss von der Sonne angepasste Leben, steht damit im Gegensatz zum schnellen Licht der heutigen Zivilisation, welche auf das angesparte Sonnenlicht (die fossilen Brennstoffe) zurückgreift und damit gleichsam die Funktion der Stromsicherung ausschaltet.“[1] Die Vermeidung eines verschwenderischen Umgangs mit Licht und somit Energie verdeutlicht das Konzept von Siegrun Appelt.

In der engen Zusammenarbeit mit WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Disziplinen versucht Appelt, die Sehgewohnheiten und die Auswirkungen von Licht in Frage zu stellen und gleichzeitig die Möglichkeiten aktueller Technologien zu erkunden. Damit sind die Arbeiten der Künstlerin als eine Form des künstlerischen Forschens zu betrachten und lassen sich Projektzielen wie denen der International Dark-Sky Association zuordnen, die sich dafür einsetzt, die Nacht entgegen der Lichtverschmutzung zu erhalten. Dafür befasst sich Appelt mit der Sensibilisierung für die verschiedenen Wechselwirkungen von Licht und der Entwicklung von neuen ästhetischen Formen, die die Funktion des Ortes und Lichts unterstreichen.

Sorgfältige Ortsanalyse

Bei der Konzeption ihrer Projekte setzt sich Appelt grundsätzlich mit dem Ort für ihre Installation genau auseinander, um die historischen, architektonischen und kulturellen Werte durch ihre Arbeit zu unterstreichen. Durch den großzügigen Garten ist die Villa bis heute noch in einem Grünraum aus zahlreichen Pflanzen und Bäumen eingebettet, die nicht nur das Areal abschirmen, sondern im Kontrast zu der urbanen Umgebung stehen. Bis heute ist die Historie sicht- und spürbar durch die Architektur und die im Garten ausgestellten Skulpturen.

Der Liebieghaus-Garten ist somit ein Ort, der viele gegensätzliche Elemente eint: Privates und Öffentliches, Natur und Urbanes, Vergangenheit und Gegenwart. Das Konzept unterstreicht diese Gegensätze sowohl durch die Stellen, an denen das Licht installiert ist, als auch durch seinen Minimalismus. Die von Appelt ausgewählten Orte sorgen dafür, dass nicht nur die Architektur betont wird, sondern ebenfalls die Pflanzen der Gartenanlage und somit auch die Natur. So erhalten BesucherInnen das Gefühl, in eine Oase einzutreten, die sich inmitten der Stadt versteckt.

Dieser Kontrast wird immer wieder durch die zwischen den Bäumen aufblitzenden Lichter der Skyline vor Augen geführt. Das reduzierte Licht des Liebieghaus-Gartens bietet eine Auszeit von den vielen unterschiedlichen hektischen Lichter der Stadt, die die menschliche Wahrnehmung zu überreizen drohen. Hier entsteht die Verknüpfung des Privaten und Öffentlichen. Zusätzlich wird diese Verknüpfung gestärkt durch die Anwendung des Lichtrecyclings, das das Miteinander des Öffentlichen und des Privaten im Lichtkonzept widerspiegelt. Das reduzierte Licht entspricht außerdem dem historischen Zustand der Anlage und ermöglicht den Raum in seiner Geschichte zu erleben. Die Qualitäten des Immateriellen und Sphärischen werden besonders durch die geringe Lichtintensität subtil greifbar. Die hier eingesetzte Lichtfarbe von 3000 Kelvin unterstreicht dies und entspricht dem natürlichen Sonnenlicht. In der Wahrnehmung wird das eingesetzte Licht als warmes glimmen in der Dunkelheit erlebbar.

Der Zauber der Nacht

Der zurückhaltende Lichtschein lässt sich mit einer gemeinhin als „romantisch“ bezeichneten Wirkung beschreiben. Verknüpft mit der Architektur des Liebieghauses, dass auch als Waldschlösschen bezeichnet wird, entspringen zahlreiche Assoziationen, die mit märchenhaften romantisierten Nachtvorstellungen in den Sinn kommen. So bewirkt die Fassadenbeleuchtung, dass die Struktur und Materialität auf malerische Weise hervortritt und mit der Architektur wahrhaftig wie ein Märchenschloss sich aus der Nacht erhebt. Aufgrund der Lichtfarbe erscheint das Licht der LED-Leuchten wie Mondschein. Zwischen den Blättern am Fuße der Villa erscheinen die Leuchtmodule wie Glühwürmchen. Die angeleuchteten Kugelleuchten werden zu zauberhaften Skulpturen schlanker Lichtwesen. Wie Irrlichter weisen sie dem Besucher den Weg. Zudem wird der spürbare mystische Glanz durch die antiken Skulpturen entlang der Wege noch weiter verstärkt. Zusammenfassend lässt sich beobachten, dass die feinen Nuancen des Zusammenspiels von Schatten und Licht die Fantasie anregen, Details stärker hervortreten und der Atmosphäre mehr Raum geben wird. Mit ihrem Konzept versucht Appelt auf mehrere Ebenen der Wahrnehmung zu berühren und die Atmosphäre, Dimensionalität und Sinnlichkeit des Liebieghaus Garten zu unterstreichen.

Vergleichbares kann bei der Beleuchtung des Kaiserdoms St. Bartholomäus von Thomas Emde beobachtet werden, der mit dem Zusammenspiel aus Licht und Schatten nicht nur die Architektur ihrem historischen Kontext angemessen gestaltetet, sondern darüber hinaus metaphysische Aspekte wie die Symbolkraft unterstreicht. Ebenfalls Parallelen können im Einsatz der Technologie zu Christian Uitz Beleuchtung der Friedberger Warte gezogen werden. Dennoch bleibt slow light von Siegrun Appelt einzigartig, weil es innovatives Licht, ökologische und wahrnehmungsphysiologische Aspekte sowie künstlerisches Schaffen neu zusammenführt.

Amina Boujnah

 

Weitere Werke, die Licht achtsam einsetzen:

Thomas Emde, Lichtinstallation 2010, Kaiserdom St. Bartholomäus, Domplatz 1 / Altstadt

Christian Uitz, Illumination Friedberger Warte, 2018, Friedberger Landstraße 414 / Nordend

 

[1] Dieter Imboden: Die Zeit im Licht, URL: http://www.langsameslicht.com/html/dt/essays_1.html (02.02.2021).

Eike Becker Architekten

OLED- und LED-Lichtinstallation, 2016

© beide Abbildungen: Eike Becker Architekten, Fotos: Jens Willebrand

ma/ro, Foyers

Neue Mainzer Straße 74 + 80 / Innenstadt

U Alte Oper

nur von außen zu betrachten 

Der Name ist Programm: ma/ro heißt das von Eike Becker Architekten 2016 fertiggestellte Zwillingsgebäude, das an der Ecke Neue Mainzer Straße – Rothofstraße den Zugang ins neue „Opernquartier“ markiert. Während der gehobene Einzelhandel und die Gastronomie im Erdgeschoß repräsentative Schaufensterfronten besitzt, nehmen sich die beiden Eingänge zu den Bürogeschossen vergleichsweise bescheiden aus. Dass sie dennoch ein Blickfang sind, ist den beiden Lichtinstallationen an den Decken der Eingangsbereiche geschuldet. Entworfen wurden sie von dem Berliner Architekten gemeinsam mit AIL, umgesetzt von hatec Lichttechnik aus dem Schwarzwald.

LED-Prismendecke

Im Eingang des Gebäudeteils Nr. 74, der sich an der Neuen Mainzer Straße befindet, werden die BesucherInnen von einer facettierten, kristallin anmutenden Deckenskulptur empfangen. Sie besteht aus dreieckigen Spiegelelementen unterschiedlicher Formate, die an den Kanten jeweils von LED-Stripes umrahmt werden. Die LEDs befinden sich leicht versenkt in den Fugen zwischen den Spiegelmodulen, so dass sie als Lichtquelle nicht sichtbar sind und damit indirektes, blendfreies Licht abstrahlen. Die dreidimensionale Installation zieht sich über die gesamte Deckenfläche des Foyers und kaschiert geschickt den Raumsprung von zwei auf eine Geschosshöhe. Die Foyer-Rückwand ist ebenfalls mit Spiegeln verkleidet; gemeinsam mit der Deckeninstallation wird so der Raum optisch vergrößert.

Optische Brechung und Spiegelkabinett

Als Inspirationsquelle für die Gestaltung gibt Eike Becker barocke Deckengemälde an, die den Realraum ebenfalls illusionistisch erweitern[1].  Ebenfalls spricht er die prismenartige Struktur der Deckenskulptur an, die wie der Blick in ein Kaleidoskop den gespiegelten Umraum facettenartig bricht: „Die dreieckigen Spiegel (…) dekomponieren die Wirklichkeit, zerstückeln sie und setzen sie neu zusammen.“[2] Durch die Reflexion des bewegten Geschehen auf der Straße und im Foyer entstehen so fortlaufend neue Bilder, die für den Architekten auf die Mobilität unserer Zeit verweisen.

Mit Blick auf die kunst- und architekturhistorischen Referenzen mag man ebenfalls an Spiegelkabinette und -säle denken. Eine große ästhetische Verwandtschaft besteht zum Beispiel zur Spiegeldecke im Teheraner Golestanpalast, die wie ein facettierter Kristall über und über mit Spiegelfliesen bedeckt ist. In Europa entstanden Spiegelsäle hauptsächlich im Barock, um – einerseits ganz pragmatisch wie auch im ma/ro – Räume größer wirken zu lassen und Licht widerzuspiegeln. Andererseits zeugen sie aber auch von der Lust an optischen Täuschungen und der auch im übertragenden Sinne zu verstehenden Spiegelung des eigenen Ichs. Insofern nimmt es übrigens nicht wunder, dass der vormals öffentlich zugängliche Eingang als beliebte Instagram-Location genutzt wurde.

Dynamisches OLED-Licht

Mit Spiegeln arbeitet auch die Lichtinstallation im zweiten, insgesamt schmaleren Eingang, der sich in der Rothofstraße befindet. Die Deckenarbeit ist aus Hunderten von kleinen OLED-Panels (organische LEDs) und Spiegelkacheln im gleichen Format zusammengesetzt. OLED und Spiegel sitzen jeweils auf Edelstahlstäben und sind derart angeordnet, dass die Gesamtform eine sich zum Eingang hin öffnende kontinuierliche S-Kurve oder Welle beschreibt. Wie schon in der ersten Eingangssituation kaschiert der Architekt auch hier einen größeren Raumsprung. Das Element der Bewegung kommt hier allerdings durch zweierlei Faktoren ins Spiel: Zum einen reflektieren die Spiegelkacheln die Bewegung der Personen, die den Eingang durchqueren. Die spiegelnden Elemente sind dabei so zwischen die Lichtpanels eingestreut, dass kein Prinzip oder Rhythmus erkennbar wird. Das Spiegelbild der Anwesenden wird somit fragmentiert als Zufallsmuster Bestandteil der Decke und vermischt sich mit dem Licht. Die BetrachterInnen sind so – im buchstäblichen Sinne – im Bilde und werden in ihren Bewegungen im Raum zu einem mitbestimmenden Faktor von Gestaltung und Werkproduktion.

Zum zweiten ist hier auch das Licht selbst dynamisch. Jedes OLED-Panel ist einzeln steuerbar und kann in seiner Lichtintensität bzw. seinem An-/Aus-Zustand variiert werden, was die Komposition gesamtheitlicher Lichtszenarien ermöglicht. Vorgesehen sind drei Szenen, die unterschiedliche Lichtstimmungen bzw. –bewegungen in der Natur aufgreifen: ziehende Wolken, Blätter im Wind sowie eine Welle. Sein Interesse für veränderbare Lichtsituationen sieht Eike Becker in seiner Zusammenarbeit mit James Turrell in den 1990er begründet. Insofern ließe sich zumindest gedanklich ein Bogen zur (stillgelegten) Frankfurter Arbeit des Weltstars Turrell im Gallileo schlagen, bei der er mit veränderbaren Lichtfarben arbeitete.

Zur beabsichtigten Wahrnehmungswirkung im ma/ro – Eingang sagt Becker: „Ich möchte (…) den Eindruck erzeugen, im Sonnenschein unter einem Laubbaum zu stehen (…). Eine sich langsam verändernde OLED-Decke schafft eine friedliche, ruhige Stimmung. Ganz im Gegensatz zum lauten, geschäftigen Treiben draußen.“[3]

Die Gebäudeeigentümerin Luwin Real Estate Management läßt die dynamischen Lichtstimmungen aktuell neu programmieren und die Steuerung erneuern. Mit dieser Pflege der technischen Infrastruktur ist sie damit vorbildlich.

Zwei Lichtquellen – komplementäre Räume

In der Zusammenschau lassen sich die beiden Eingänge als ästhetisch komplementär inszenierte Räume sehen. Das bewegte, mitunter gar hektische Stadttreiben wird mit einer statischen Lichtskulptur eingefangen, während die dynamischen Lichtspiele auf die Schaffung einer entschleunigenden Atmosphäre abheben. Auch hinsichtlich der Charakteristiken der eingesetzten Leuchtmittel unterscheiden sich die beiden Deckenskulpturen deutlich voneinander. Der als Beleuchtung mittlerweile in allen Erscheinungsformen weit verbreitete und akzeptierte LED-Chip ist seiner Substanz nach ein anorganischer Halbleiterkristall; als Punktlichtquelle emittiert er helles, ohne zusätzliche Filter, Optiken oder Umbauten oftmals blendendes Licht. Die OLED – die organische LED – besteht aus organischen halbleitenden Materialien und ist eine Flächenlichtquelle, die blendfreies, für die Augen angenehmes, da dem Sonnenlicht sehr ähnliches Licht abstrahlt. Als Leuchtmittel spielt sie am Markt aktuell keine große Rolle; Einsatz findet die Technologie vor allem im Displaybereich. Dementsprechend selten sind OLED-Lichtinstallationen in situ zu finden.

Vor dem Hintergrund der beabsichtigten Raumwirkung und inhaltlichen Referenzen erscheint die Wahl der Lichtquellen konsequent: Die organischen Materialien finden ihren Einsatz in der Installation mit fließenden Formen und Lichtbewegungen (die darüber hinaus Naturszenarien beschreibt), während die prismenartige, kristalline Deckenskulptur die anorganische LED als Lichtquelle nutzt. Die außergewöhnlichen Lichtinstallationen stehen somit nicht nur für eine interessante und – was die Kompensation der eher kleinen und nach hinten niedriger werdenden Raumvolumina betrifft – smarte Lösung, sondern verweisen auch auf die unterschiedlichen Charaktere des eingesetzten Mediums.

Für die nähere Zukunft ist die Installation einer dezenten Illumination der Außenfassade geplant, die die boxartige Struktur der Architektur deutlicher sichtbar machen soll.

 

Heike Sütter

 

[1] Vgl. (o.V.): Ein Ensemble – Doppelter Blickfang. Lichtinstallationen in Eingangshallen, in: Licht 1/2017, S. 34-37, hier S. 35

[2] Ebd.

[3] Ebd.

Katharina Berndt

Ins Licht gerückt, 2012

© beide Abbildungen: Katharina Berndt, Fotos: Andreas Wiegand

Mainova AG, Heizkraftwerk Mitte

Konstablerwache Ecke Allerheiligenstraße / Innenstadt

S, U, Tram Konstabler Wache 

Die Konstablerwache ist einer der zentralen Verkehrsknotenpunkte Frankfurts und entsprechend ist das angrenzende Allerheiligenviertel von fluktuierenden Verkehrslichtern, künstlichem Licht der Reklameschilder und farbenreicher Gebäudebeleuchtung geprägt. Die allgemeine Hektik des Ortes lädt nicht zum Verweilen ein. Eine Ausnahme bildet die Lichtinstallation Ins Licht gerückt am Mainova Heizkraftwerk Mitte der Bremer Künstlerin Katharina Berndt. Sie bedingt, dass ein Unort zum Ort der Einkehr, des Innehaltens wird. Die von der Künstlerin in die Fenster des Gebäudes gesetzten Bilder ziehen die BetrachterInnen förmlich in einen Strudel von Motiven aus Märchen, Mythen und Sprichwörter, die als gemeinsames Thema Feuer, Wärme und Licht haben. Über die Bilder wird ein sonst schnell übersehener Ort sichtbar. Vom Heizkraftwerk springt regelrecht ein Funke über, der zum Dialog einlädt und die Funktion des Gebäudes, die umliegenden Stadtteile mit Energie zu versorgen, buchstäblich ins Licht rückt.

Narrative Scherenschnitte

Die besondere Wirkung der Bilder ist durch die Technik bedingt. Berndt hat die Fenster mit Scherenschnitten gefüllt, die vor allen dann kraftvoll hervortreten, wenn das Licht aus dem Innenraum des Gebäudes nach außen dringt und so eine Art negatives Lichtbild entsteht. Dabei wird das flächige Industriefenster des Nutzbaus, das durch die architektonischen Stahlträger in sechs gleichgroße Flächen rhythmisiert ist, zu einer monumentalen Bildkomposition verbunden. Kunst und Architektur werden aufeinander bezogen, indem die Funktion des Gebäudes durch die Bildmotive aufgegriffen und zu einem Ort des Phantasierens verwandelt wird.

Für die Art der Darstellung ist Katharina Berndt durch ihr Studium von Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Illustration in Kiel und ein daran anschließend an der Hochschule für Künste Bremen mit dem Schwerpunkt Musik und Bühne geradezu prädestiniert. Seither arbeitet sie an der Schnittstelle von Text, Bild und Ton. Seit 2010 beschäftigt sie sich zudem mit dem Medium Licht und begründete an der HfK Bremen eine Arbeits- und Forschungsgruppe für Lichtkunst: die Luminauten. Für ihre Arbeit am Heizkraftwerk erhielt Berndt 2012 den von der Mainova ausgelobten Preis zur Luminale. Begründet wurde der Preis damit, dass Berndt den Vorgaben von Nachhaltigkeit entsprochen habe, weil sie das ohnehin vorhandene Licht der Innenbeleuchtung für ihr Werk nutzte und keine zusätzliche Lichtquelle benötigte. Außerdem entfaltet das Werk auch tagsüber seine Wirkung, wenn nämlich das Tageslicht von außen durch die Fenster fällt und so vor allem für die MitarbeiterInnen im Inneren sichtbar wird. 

Die bildliche Abfolge erinnert ebenso an die Erzählweise von Bilderbüchern wie auch an die Stilistik von Comics, wenngleich auch die einzelnen Motive nicht in einer festen Abfolge zueinander stehen. Vielmehr stehen Berndts Scherenschnitte, die die Fenster an zwei Seiten des Gebäudes füllen, gleichberechtigt nebeneinander. Dabei treten unterschiedliche Referenzen zueinander in Beziehung.

Prometheus und Struwwelpeter

An der Fensterfront entlang der Allerheiligenstraße tritt zunächst der Prometheus-Mythos hervor. Prometheus brachte den Menschen das Feuer und ermöglichte ihnen damit eine Fülle von Kulturpraktiken, so neben der Zubereitung von Speisen eine Reihe von Handwerken. In Berndts Darstellung ist die Übergabe in das Bild eines flammenden Blumenstraußes gefasst. Der Göttervater Zeus, der sich von Prometheus hintergangen sieht, beauftragt Hephaistos, den Gott des Schmiedefeuers, Rache zu üben, woraufhin Hephaistos aus Lehm Pandora modelliert und sie mit einer Büchse, die alles Ungemach für den Menschen enthält, auf die Erde entsendet. Die unheilbringende Pandora erscheint in Berndts Darstellung als „Superwoman“, als vollbusige und agile Person. An dieses Motiv schließt sich das des neugierigen Menschen, der die Büchse öffnet. Gleichzeitig leitet dieses Motiv zur Gebäudefront an der Kurt-Schumacher Straße über.

An den Prometheus-Mythos gliedern sich Bilder aus Märchen und Sagen an, die auf thematisch ähnliche Motive rekurrieren bzw. mit Feuer und Licht zu tun haben. Zentral ist die Darstellung eines Leuchtturms, der als Ruhepol wirkt und in dem Strudel aus Figuren zur Orientierung verhilft. Immerhin dient der Leuchtturm auch in der Seefahrt der Orientierung und wirkt darüber als richtungsweisende Metapher. Bewacht wird der Leuchtturm von einem Greif, der zugleich als Wächter des Feuers fungiert. Der Eindruck vom Greif als Wächter des Feuers entsteht durch die zum Himmel lodernden Flammen. Die Flammen verbinden die Motive und leiten über zu einem Kranich, der den Wagen des Sonnengottes zieht. Als zeitgenössische Zutat ist er mit einer Sonnenbrille versehen, was ihm das Aussehen eines Popstars verleiht. Ähnlich zeitgenössisch wirkt die Gruppe mit Gitarrenspieler, die sich um ein Lagerfeuer versammelt hat. In bunter Vielfalt durchmischen sich weitere Motive, so die dem Märchen Sterntaler entnommene Figur, die bei Berndt mit einer Feuerlilie versehen ist, Hänsel und Gretel in Gesellschaft von Feuerspuckern und Salamander und schließlich Rumpelstilzchen, dass mit einem Alchimisten assoziiert wird. Als Referenz an Heinrich Hoffmann, der als Arzt und Psychiater in Frankfurt wirkte, vor allem aber durch sein Kinderbilderbuch Der Struwwelpeter bekannt wurde, tritt mit zwei Katzen ein Motiv aus Hoffmanns Bilderbuch in Erscheinung. Nicht zuletzt macht ein kurzer Text den Bezug zu der Geschichte um Paulinchen deutlich, die allein zu Haus mit den Zündhölzern spielte und im Feuer umkommt.

Berndts Scherenschnitte komprimieren die vielen Geschichten in mehrfacher Hinsicht, einerseits durch die auf Silhouetten beschränkten Szenen, andererseits durch die Auswahl charakteristischer Bildelemente, die das Motiv des Feuers aufgreifen und darüber den Bezug zum Heizkraftwerk herstellen. Zugleich löst jedes einzelne der Motive eine Reihe weiterer Assoziationen aus. So steht jede Figur für eine Geschichte, lösen aber gleichzeitig durch die Zusammenstellung eine Kette von Imaginationen aus. Die Bilder werden so ineinander verwoben, dass sie vexierbildartigen Szenen ergeben, die aus unterschiedlicher Entfernung anders wahrgenommen werden. So gibt es Teile, die von Weiten besser zu erkennen sind, während Details sich erst beim Näherkommen erschließen. In einem Wechsel aus filigranen Linien und Flächen wird Spannung erzeugt. Der Assoziationsmechanismus, der ein Gesicht in wenigen Strichen oder das Feuer in wenigen Flammen erkennen lässt, verdichtet die Darstellung in der Wahrnehmung. Alles in allem erscheint Berndts monumentale grafische Bilderwelt wie ein Bühnenbild, das zugleich die Akteure einschließt.

Historische Technik

Formal steht Berndts Arbeit in der Tradition des Scherenschnitts, wie er vor allem in bürgerlichen Kreisen des 19. Jahrhunderts praktiziert wurde. Dem Scherenschnitt wiederum liegt der Schattenriss zugrunde, dessen Einsatz als Darstellungstechnik bereits aus der Antike bezeugt ist. Da der Schattenriss von einem gegebenen Gegenstand ausgeht, gilt er als „wahrhaftig“. Narrative Scherenschnittdarstellungen finden sich vor allem in Märchenbücher des 19. Jahrhundert. In der zeitgenössischen Kunst findet er unter anderem Einsatz bei Kara Walker und William Kentridge, wobei Kentridge zugleich auch den Schatten als Ausdrucksmedium nutzt, ähnlich wie auch Christian Boltanski. Katharina Berndt greift damit eine Technik auf, die zum tradierten Kanon der (Licht)Kunstgeschichte gehört, wenngleich auch das Licht nur indirekt als Medium genutzt wird und nicht als Hauptakteur der Gestaltung in Erscheinung tritt.

Lea Bligenthal

Herbert Cybulska

Lichtgestaltung, 2013

© Herbert Cybulska

LED Strahler, Individualsoftware

Sankt Bonifatius (Innenraum)

Holbeinstraße 70 / Sachsenhausen

S, U Südbahnhof

Die Kirche ist Mo-Fr von 9 bis 12 Uhr und Mo, Mi und Do von 14.30-17 Uhr zugänglich

 

Die im Stadtteil Sachsenhausen gelegene katholische Pfarrkirche Sankt Bonifatius wurde nach Plänen des Frankfurter Architekten Martin Weber errichtet. Die Bauarbeiten begannen 1926, und bereits im Folgejahr, im August 1927, wurde sie vom Limburger Bischof geweiht und seither für Gottesdienste und Veranstaltungen genutzt. Die kubischen Formen, die geraden Linienverläufe und das unverputzte Backsteingemäuer, das die Eisenbetonkonstruktion verkleidet, sind charakteristisch für das expressionistische Bauen der 1920er Jahre. Es findet auch in Frankfurt an verschiedenen Stellen Realisierung, so bei Martin Elsässers Großmarkthalle oder bei Hans Poelzigs Verwaltungsgebäude der IG Farben, in dem heute Teile der Goethe-Universität unterbracht sind.

Weber, der sich auf Sakralbauten spezialisiert hatte, legte Sankt Bonifatius als einschiffigen, stufenlosen Raum an. Die seitlichen Wände sind zu einem bereits am Boden ansetzenden Gewölbe geformt, das im Scheitel einen Spitzbogen bildet. Lediglich der Chor liegt erhöht. Während die Fenster im Chor weit über dem Altar liegen und so das Licht nur indirekt den Boden erreicht, fällt in das der Gemeinde vorbehaltene Hauptschiff durch beidseitig in gleichförmigen Abständen angebrachte Lanzettfenster das Licht ein, wobei pfeilerartigen Vorsprünge die Fenster in Nischen zurücktreten lassen und darüber einen direkten Lichteinfall unterbinden.

Wechselnde Lichtszenarien für verschiedene Liturgien

Seit ihrer Errichtung hat der Kirchenbau wiederholte Veränderungen erfahren, so 1948 durch die Beseitigung der Kriegsschäden an Gewölbe und Ausstattung. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde der Hauptaltar ins Hauptschiff verlegt, so dass bei der Messliturgie der Priester sich der Gemeinde zuwenden konnte. Erst nach der Renovierung von 1987 erhielt die Kirche ihr altes, von Weber festgelegtes Aussehen wieder. An dieses knüpft dann auch das von Herbert Cybulska im Auftrag der Kirchengemeinde 2013 neu ausgeführte Lichtkonzept an. Es soll vor allem den vielfältigen Forderungen gerecht werden, die der Raum zu erfüllen hat, nachdem ihn seit 2005 die Jugendkirche Jona nutzt. Auch die unter dem Leitbegriff „Fiat Lux“ abgehaltenen Gottesdienste sollen Licht als Gestaltungskomponente verstärkt einbeziehen können. Zu diesem Zweck wurde eine komplexe Lichtanlage installiert, über die die verschiedenen Lichtelemente im Boden, an der Decke und an den Seiten gesteuert werden können. Vorrangig sind ein warmweißes und ein kaltweißes Licht, daneben aber auch eine Ausleuchtung des Altarraumes mit wechselnden Farben.

Bei der Beleuchtung des Hauptschiffes orientiert sich Cybulska an der ursprünglichen, von Weber vorgegebenen Lichtführung, die primär über die Seitenfenster erfolgte und womit die Lichtverhältnisse im Raum vom Wechsel der Tages- und auch Jahreszeiten mitbestimmt wurden. Ausgehend von den den Raumeindruck prägenden Bögen und Nischen wurden im Boden sogenannte Wallwasher wie auch optisch präparierte Spots versenkt. Bei den Wallwashern handelt es sich um eine Beleuchtung, die die Wände möglichst gleichmäßig ausleuchtet, um so das Licht selbst als Gestaltungsfaktor zu nutzen. Zu diesem Zweck wurden die Lichtspots so ausgerichtet, dass der Lichtstrahl aus warmweißem Licht die mit der Architektur gegebene Aufwärtsbewegung im Chorraum unterstützt und gleichzeitig die aufwendige Deckengestaltung zur Geltung bringt. Intelligente kopfbewegte Strahler aus der Bühnentechnik streifen wahlweise kalt- oder warmweiss das Ewige Licht, das im Altarraum schwebend den Blick auf sich lenkt. Auch der Altar selbst kann mittels einer positionierbaren, der modernen Bühnentechnik entstammenden Beleuchtung mit unterschiedlichen Lichtfarben auf verschiedene Stellen unterschiedlich gerichtetes Licht akzentuiert werden. Um den verschiedenen Anforderungen im Kirchenalltag gerecht zu werden, zu der unter anderem Überblendungen gehören, wird die gesamten Lichtsteuerung von einem computergesteuerten System übernommen, der zudem eine gleichmäßigen und gemäßigten Wechsel der Lichtsituation garantiert. Mit den unauffällig installierten, gleichwohl wirkungsvollen Lichtern bleibt die Wirkung der Architektur gewahrt; gleichzeitig ist aber auch für eine gute Ausleuchtung gesorgt.

Die prägnanteste Veränderung betrifft die Deckenleuchten. Auf historischen Aufnahmen, die den Zustand vor dem Krieg zeigen, sind von der Decke abgehängte Pendelleuchten zu erkennen. Diese nun nehmen sich bei Lichtinszenierungen, wie sie unter anderem im Rahmen der Jugendkirche, aber auch bei Theateraufführungen zum Tragen kommen, eher störend aus als dass sie noch eine Funktion erfüllten. Statt ihrer sind nun dicht unter der Decke LED-Lichter in mehreren, sich im Scheitel aneinanderreihenden Rauten angebracht. Die Rautenform leitet sich aus den in der Kirche von Anbeginn an vorhandenen Elementen ab, die lediglich hinter die Bogenrundungen zurücktreten und deshalb nicht bewusst wahrgenommen werden. Während die moderne Lichttechnik in Wandsockeln und im Boden unauffällig eingebaut wurde, hängen die rautenförmigen Leuchten von der Decke ab und treten bewusst sichtbar hervor, wobei die von der Decke auf den Boden gerichteten LEDs das von der Seite in den Raum fallende Licht unterstützen. Für das Auge unsichtbar, weil hinter Lichtleisten verborgen, lassen sie die Tönung der Decke im oberen Bereich kühler und den Raum so weiter erscheinen.

Weber hatte für den Altarraum ein „Ewiges Licht“ entworfen, das als Ampel an einer Kette von der Decke im Chor über dem Hauptaltar abgehängt war. Mit ihm korrespondierte das durch die von Johannes Beeck in den 1960er Jahren entworfenen Chorfenster aus farbigem Glas in abstrakten Formen.

Für den Altarraum hat nun Cybulska eine komplexe Lichttechnik vorgesehen, die differenzierte Lichtinszenierungen ermöglicht. Jedes Lichtelement ist über ein digitales DMX-Steuersystem, das üblicherweise in der Bühnen- und Veranstaltungstechnik Einsatz findet, einzeln zu dirigieren. Die Steuerung erfolgt von einem Prozessor aus und kann wahlweise von zwei Touchpannels oder von einem Tablet-Rechner aus bedient werden. Bei komplexeren Lichtinszenierungen erfolgt die Steuerung dann über einen PC. Für den Alltagsgebrauch sind zwölf verschiedene Szenen vorprogrammiert, für die FIAT LUX-Veranstaltungen inzwischen über sechzig weitere hinterlegt, die beliebig verändert und ergänzt werden können.

Bei aller modernen Technik, auf der das neue Lichtsteuerungssystem beruht, fußt die Lichtinszenierung doch in alt tradierten Auffassungen vom sakralen Licht, denen zufolge sich die göttliche Natur im Licht offenbart. So hatte bereits Martin Weber in den unterschiedlichen Lichtverhältnissen, die das Hauptschiff vom Altarraum unterscheiden, im Weg vom Hauptportal zum Altar eine Metapher für den Aufstieg vom diesseitigen Dunkel zur Erleuchtung im Jenseits gesehen.

 

Viola Hildebrand-Schat

 

Herbert Cybulska

Lichtgestaltung, 2020

© Herbert Cybulska

Spezielle LED Strahler, Individualsoftware

Frauenfriedenskirche (Innenraum)

Zeppelinallee 101 / Bockenheim

Tram Frauenfriedenskirche

Die Kirche ist Di-Fr von 8 bis 17 Uhr, Sa von 8-12 und So von 15.15-17 Uhr zugänglich

 

Die Frauenfriedenskirche im Stadtteil Bockenheim ist einer der fünf Kirchenorte und zugleich Hauptkirche der 2017 neu gegründeten Gemeinde Sankt Marien Frankfurt am Main. Die 1929 geweihte Kirche entstand auf Initiative Hedwig Dransfelds und des katholischen Frauenbundes, der mit der Kirche den im Ersten Weltkrieg Gefallenen ein Denkmal und ein Zeichen für die Bitte um Frieden setzen wollten. Das Ensemble umfasst neben der Kirche einen Ehrenhof und ein Gemeindehaus und hat seit seiner Errichtung verschiedene Phasen des Umbaus erfahren. Dabei wurde auch das ursprünglich eigens von dem vornehmlich dem Expressionismus verbundenen Architekten Hans Herkommer konzipierte Lichtprogramm verändert. Bei neuerlichen Restaurierungsarbeiten wurden die Lichtführung und das Farbprogramm durch das Frankfurter Büro Herbert Cybulska wieder auf ihre anfängliche Wirkung zurückgeführt und dabei gleichzeitig die Technik modernisiert.

Herkommer hatte mit oberhalb der Fenster an der Außenfassade montierten Kandem-Spiegelschrägstrahlern, wie sie in diesen Jahren für Schaufensterbeleuchtung verwendet wurden, einen dem natürlichen Sonnenlicht entsprechende Lichteinfall verwirklicht und zusätzlich das Mosaik hinter dem Altar mit einem weiteren Scheinwerfer ausgeleuchtet.[1] Dadurch trat nicht nur die Kreuzigungsgruppe an der Wand stärker hervor, sondern war auch ein Lichtraum geschaffen, der sich gegen die gleichmäßigen Bodenausleuchtung einerseits, die prägnanten und von Herkommer gezielt eingeplante Licht-Schatten-Führung andererseits abhob. Unterstrichen wurde die Lichtführung durch die Farbgebung der Wände, die als Fonds für das Mosaik ein tiefes Taubenblau und für das Kirchenschiff eine gleichförmige Ausmalung mit Elfenbeinweiß vorsah, wobei die Fensterlaibungen in hellem Weiß und Weißgrün gehalten waren. Eine differenzierte Farbgebung erhielt die Balkendecke mit schwarzem Grund, Zinnoberrot an den Seiten und Königsblau an der Unterseite der Balken. Die Farben wurden an den Quergurten aufgegriffen. Das Zusammenspiel von Licht und Farbe entsprach Herkommers Credo, dass sie zusammen mit der Linie die bestimmenden dekorativen Elemente seien, weshalb auch auf weiteren Schmuck im Kircheninnenraum verzichtet wurde.

Restaurierungen in den 1970er und 2000er Jahren

Bei einem Bombenangriff 1944 wurden Dach und Fenster der Kirche zerstört, was in den folgenden Jahren die von Herkommer entwickelte Farbgebung erheblich beeinträchtigte. Endgültig aufgelöst wurde die von ihm konzipierte Licht- und Farbgebung bei Restaurierungsarbeiten in den 1970er Jahren, die nicht nur mit dem Einbau einer neuen Bodenheizung verbunden waren, sondern auch dem Einbau farbiger Glasfenster von Joachim Pick, der auch das Oberlicht mit einer Taube für die Taufkapelle entwarf.

Als nach der Jahrtausendwende erneut eine Restaurierung notwendig wurde, weil durch Bodenbewegungen erhebliche Schäden an Fassade und Fundament aufgetreten waren, wurde das Lichtgestaltungsbüro Cybulska und Partner mit einer neuen Lichtführung beauftragt. Obwohl die Errichtung der Kirche zu diesem Zeitpunkt noch keine hundert Jahre zurückliegt – die Grundsteinlegung für den Kirchenbau war 1927 erfolgt – sind von der ursprünglichen Gestaltung nur mehr Spuren erhalten, vor allem mit den noch erhaltenen Leuchtkörpern. Sie nun bieten für die Neugestaltung Ansatzpunkte. So versucht sich Herbert Cybulska einerseits an den Gegebenheiten zu orientieren, andererseits aber zugleich auch eine den Belangen entsprechende optimale Ausleuchtung zu erzielen. Die Restituierung der ursprünglichen Farbgebung, die zusammen mit dem neuen Licht erfolgte, stützt sich wesentlich auf Befunde der vorgängigen Gegebenheiten, bezieht aber ergänzend die für Herkommers Bauten charakteristische Farbgestaltung mit ein. Herkommers Lichtkonzept ist in mehreren Fachartikeln der 1920er und 1930er Jahren beschrieben und kommentiert worden. Zudem sind die ursprünglichen Leuchten noch soweit erhalten, dass sie als Ausgangspunkt für die Übersetzung des Lichts ins 21. Jahrhundert mit aktueller digitaler Lichttechnik dienen können.

Hatte Herkommer Spiegelschrägstrahler im Lichtgaden installiert, um einen natürlichen Lichteinfall zu simulieren, so hält die gegenwärtige Lichttechnik mit LEDs neue Mittel bereit, die den Vorstellungen von flutendem Sonnenlicht näherkommen. Die neu montierten Leuchten erzielen anstelle der vormaligen 30 Lux im Bereich der Kirchenbänke eine Helligkeit von bis zu 150 Lux, was unter anderem das Lesen von Texten erheblich erleichtert und den heutigen Ansprüchen genügt. Der Gang wird durch Streulicht erhellt, wobei Soffittenleuchten an den Wänden die Kontraste mildern. Diese an Leuchtstäbe gemahnenden, an ihren beiden Längsenden mit Kontakten versehenen entlang der Wände montierten Lampen greifen die Form gewöhnlicher Kerzen auf, nur dass sie an zwei Enden gehalten werden. Gleichzeitig werden die noch aus der Bauzeit übernommenen Soffitten so aufgerüstet, dass sie gleichförmiges Licht wiedergeben, da die eigens angefertigte LED Einsätze nicht an das alte Längenmaß der Ursprungslampen gebunden sind, die technisch bedingt nicht länger als 30 cm sein konnten. Die in den Seitenschiffen angebrachten Stationen des Kreuzweges von Albert Henselmann werden zusätzlich durch Strahler angeleuchtet, deren Weiß auf die Malerei exakt abgestimmt wurde.

Auch das Mosaik im Altarraum mit der Kreuzigungsgruppe erhält eine neue Ausleuchtung. An die Stelle des Kranzes aus Glühbirnen an der Decke, die nicht oder nur schlecht gewartet werden konnten, rücken nun seitlich angebrachte Lichtspots, wie sie auch in Museen angewendete werden und eine außergewöhnlich gute Farbwiedergabe ermöglichen. Zusätzlich werden Spots aus der Veranstaltungstechnik installiert, deren Licht die neue Altarinsel aus weiter Entfernung gut ausleuchten kann. Die Steuerung erfolgt hybrid, d. h. mit unterschiedlichen Steuersignalen deren Programmierung anwendungsfreundlich vom Steuertableau oder manuellen Geräten abgerufen werden kann.

Die neue Lichtführung sieht weiterhin einen eigenen Lichtakzent für den neuen Altar von Tobias Kammerer vor. Der 2020 am Ende des Längshauses vor dem Chor errichtete Altar wird durch einen im Boden versenkten Lichtring von unten her angestrahlt. Mit dem Kreisrund ist zugleich die ringförmige Gestaltung an der Decke des Chorraumes aufgegriffen und somit über einfache formale Elemente eine gleichsam organische Verbindung zwischen oben und unten, Längshaus und Chorraum geschaffen.

Lichtmetaphysik

Mit Altar, Kreuzigungsgruppe und schließlich auch dem Kreuzweg sind zentrale Punkte des sakralen Kontextes allein durch die Ausleuchtung akzentuiert. Wesentlicher jedoch ist das seitlich in den Kirchenraum einfallende Licht, über das sich die göttliche Präsenz vergegenwärtigt und damit an die Prinzipien historischer Kirchenbauten angeknüpft. Das von außen eindringende Licht – claritas und splendor – wird zum sprechenden Ausdruck der Harmonie der göttlichen Schöpfung, durch die der Gläubige erleuchtet wird. Mit solcher Lichtführung orientiere sich auch der moderne Kirchenbau an einer als „Lichtmetaphysik“ zu bezeichnende Vorstellung, die über die Neuplatoniker – unter anderem Plotin (205 – 270) – überliefert, auf die biblischen Schriften zurückging. Plotin beschrieb in Anlehnung an Dionysius Areopagita bzw. Pseudo-Dionysius Gott als Urquell des Lichtes, dem alle sichtbaren Dinge ihre Existenz verdankten. In den physischen Dingen offenbare sich das Göttliche – vorstellbar als Ausstrahlung bzw. Emanation, also einer Verflüchtigung in den wesenlosen Stoff, die hyle. Somit sei alles Sichtbaren ein Abglanz Gottes. Diesem Licht könne sich die menschliche Seele zuwenden und zu Gott erheben. Im 9. Jahrhundert gelangte die Darstellung des Dionysus Areopagita in die Abtei St. Denis, wo sie von Johannes Scotus Eriugena übersetzt, kommentiert und in westlichen Abendland Verbreitung erlangte. Suger, Abt von St. Denis war einer der ersten, der sich mit der antiken Lichtmetaphysik auseinandersetzte, ihm folgten Hugo von St. Victor, Robert Grosseteste, Bonaventura und andere. Wenn auch nicht dezidiert an den antiken Autoren orientiert, erhellt sich

das Konzept der Lichtführung in der Frauenfriedenskirche doch vor diesem Hintergrund und übernimmt eine dienende, symbolische Funktion.

 

Viola Hildebrand-Schat

 

[1] Zur Lichtführung bei Herkommer vgl. Ernst Weisse: Kirchenbeleuchtung mit Spiegel-Schrägstrahlern. In: Die Baugilde, Leipzig 1930, S. 1149 f.

 

Ólafur Eliasson

Light lab (1/12), 2006

(aus der Serie „Light lab“, 2006-2008)

© Ólafur Eliasson, Foto: Axel Schneider

Lichtinstallation, Monofrequenzlichter, Holz, 7,06 x 14,6 m, Auflage 1/12, Inv. Nr. 2008/9

MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, erworben mit großzügiger Unterstützung der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen

Portikus, Alte Brücke 2 / Altstadt

U, Tram Dom/Römer

 

„Zur Eröffnung des neuen Portikus auf der Maininsel wurde die von Ólafur Eliasson entwickelte Lichtinstallation Light lab (1/12) enthüllt, damit die erste Arbeit am neuen Haus. In den ersten zwei Jahren wurde das Werk zwölfmal variiert und erschien in immer neuen Farb- und Formvarianten mit Titeln wie Strobo Night, Deep Purple Laguna oder Giant Sky Mirror Light sowie Sunrise Pink.[1] Erworben hat das MMK für eine dauerhafte Präsentation im Portikus schließlich die Version Light lab (1/12) – ein Bogen in einem dunklen Gelbton. Diese „Sonne“ auf der kleinen Maininsel ist zu „einem künstlerischen Wahrzeichen Frankfurts geworden.“[2]

Das Gebäude des neuen Portikus mit seiner karminroten Außenfassade, das vom Frankfurter Architekten Christoph Mäckler in bewusst schlichten Formen gehalten wurde, gewissermaßen als Urtypus des einfachen Hauses, wird durch seine schmale und lange Form und auch das Dach charakteristisch.[3] Der architektonisch einfache, turmähnliche Bau ist über einen Steg mit der Alten Brücke verbunden, die seit dem frühen Mittelalter eine zentrale Verbindung der Ufer innerhalb der Stadt Frankfurt war. Auch der Name „Portikus“ für das Ausstellungsgebäude auf der Maininsel ist historisch begründet und bezieht sich auf das Säulenportal der im zweiten Weltkrieg zerstörten Frankfurter Stadtbibliothek, die, um einen Containeranbau erweitert, seit 1987 der Frankfurter Städelschule als Ausstellungsort dient.[4] Seit 2006 steht nun mit dem Neubau auf der Maininsel für temporäre Ausstellungen das zwar einfache, zugleich aber doch repräsentative Gebäude zur Verfügung.

Lichtkunst im Glasdach

In das spitze, schiefergedeckte Satteldach mit einer Neigung von steilen 67,5 Grad ist an der Nordseite, der Frankfurter Innenstadt zugewandt, eine Glasplatte eingelassen, hinter der der Lichtbogen der Installation mit Einsetzen der Dämmerung sichtbar wird. Die Rundung des Lichtbogens bildet einen Gegensatz zu den ansonsten kantigen Formen des Gebäudes.[5]

Light lab (1/12) selbst besteht aus vielen miteinander verbundenen Leuchtstoffröhren, die auf einem hölzernen Halbbogen platziert sind. Dabei können Helligkeit und Farbigkeit der Röhren reguliert werden.

Die Installation besticht durch ein warmes gelbes Licht, das die Anmutung einer aufgehenden Sonne hat. Diese Sonne geht genau über der Stadt Frankfurt auf, zu der die Arbeit sich wendet. Die vielleicht auf den ersten Blick statisch wirkende Arbeit im Innenraum des Portikusdaches strahlt nach außen und wirkt je nach Tageszeit und Licht jeweils ganz anders. Auch die Reflexion auf dem Wasser des am Portikus vorbeifließenden Mains führt dazu, dass der Lichtstrahl nie stillsteht, sondern fließend und meditativ unaufgeregt wirkt, die Nacht aufhellt und sich warm vom dunklen, kühlen Schwarz des Wassers abhebt.

Auseinandersetzung mit Natur- und Wetterphänomenen

Light lab (1/12) ist keine Ausnahme im Schaffen des Künstlers. Im Gegenteil fügt sich das Werk in eine ganze Reihe anderer Arbeiten ein, die der Künstler der Sonne, dem Licht sowie Natur- und Wetterphänomenen in verschiedensten Varianten immer wieder widmet. Über das künstlerische Schaffen Eliassons schreibt Gijs van Tuyl: „Getrieben von einem großen gesellschaftlichen Engagement, bespielt und exploriert Eliasson mit den Sinnen und deren instrumentalen Verlängerungen das Experimentierfeld der Raum- und Naturwahrnehmung. Daraus resultieren Inszenierungen oder Versuchsanordnungen von sinnlichen, meist optischen Phänomenen, wie sie aus der Natur, den Naturwissenschaften und aus der Architektur bekannt sind. In seinen Darstellungen sind die Arbeiten absolut visuell oder sinnlich und haben nichts von einer toten dokumentarischen Präsentation oder akademischen Ideenkunst. Schlüsselwörter für seine Annäherung sind Wahrnehmen, Bewegung, Kondition, Evolution, Raum, Zeit und Bild.“[6] Eine Ausstellung des Künstlers sei ein Labor der Sinne, in dem immerzu neue Versuche angestellt würden, es keinen Stillstand und keine endgültige Vollendung gäbe. Ein Labor, in dem alles in Bewegung und im Fluss wäre, so wie es die selbstbestimmte, aktive und sich immer verändernde menschliche Wahrnehmung ist.[7] Dennoch steht bei Eliasson, anders als beispielsweise bei James Turrell – einem der Light and Space-Künstler der ersten Stunde – nicht primär die überwältigende Wirkung des Lichts im Vordergrund. Vielmehr gibt Eliasson doch immer den Blick auf die technologische Ausarbeitung, auf die materielle Beschaffenheit frei. So auch bei Light lab (1/12).

Einfachheit als Kraft

In einem Interview antwortete Eliasson auf die Frage, warum er immer wieder künstliche Sonnen produziere: „Tatsächlich habe ich eine Menge künstlicher Sonnen produziert, in der Tate Modern in London zum Beispiel, aber auch vorher schon, in viel kleinerem Format. Vielleicht kennen Sie mein frühes Werk ‚Beauty‘. Es ist ein mit ganz primitiven Mitteln erzeugter künstlicher Regenbogen. Ich glaube ganz einfach, dass die ‚solare Geographie‘ sehr wichtig dafür ist, wie wir die Welt wahrnehmen – am Ende also auch dafür, wie wir uns selbst wahrnehmen.“[8] Und so passt auch der Gedanke von Gijs van Tuyl, wenn er anmerkt: „Es ist Eliassons erklärtes Ziel, Kunst in die Gesellschaft zu integrieren, damit sie wieder eine Funktion als Hilfsmittel zur sinnlichen Orientierung bekommt und dies in einer Welt, wo Technik und Medien die Natur in den Hintergrund gedrängt haben.“[9]Immerhin sei das Museum nicht nur ein Ort, um über Kunst zu reflektieren, sondern habe die Aufgabe, den Besucher und die Kunst über Grenzen und Begrenzungen hinweg zu verbinden.[10]

Fabian Schöneich, der von 2014 bis 2017 Kurator des neuen Portikus war, schreibt über Eliassons Arbeiten: “Mit einer sehr simplen Geste und einem Phänomen, dem wir täglich ausgesetzt sind, erinnert uns Eliasson daran, innezuhalten und nicht nur über die Kunst nachzudenken, sondern auch über jene Dinge, die für viele andere nicht selbstverständlich sind. In diesem Sinne schließt die Arbeit an die Praxis des Ausstellungsraums an: Junge sowie etablierte zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler stellen hier ihre Werke aus, publizieren und diskutieren und werfen dabei Fragen auf, die sich nicht nur mit Kunst, sondern auch mit sozialen, politischen und gesellschaftlichen Themen beschäftigen.“.[11]

Aufbauend auf diesen Informationen ließe sich wohl sagen, dass Light lab (1/12) mit der Platzierung im Portikus, der Ausstellungsplattform der Frankfurter Städelschule, eine symbolische Kraft ausstrahlt. Die aufgehende Sonne steht sinnbildlich für das aufstrebende Talent. Der Ort mitten auf der Brücke zwischen den südlichen und nördlichen Teilen der Stadt Frankfurt, der schon seit langen Zeiten eine wichtige, buchstäblich tragende Verbindung darstellt, wird nun durch eine Sonne gekrönt. Die Sonne, die den kontinuierlichen Wandel der Zeit markiert, begleitet die aufstrebende und vielleicht auch untergehende Kunst über die Zeit.  Die Sonne, die aufgeht und ihr Licht verschenkt, auch wenn sich die Nacht über die Menschen senkt – sie markiert den Ort am Flussufer des Mains und läßt den Portikus – nicht zuletzt auch aufgrund der Offenlegung der Konstruktion der Lichtinstallation – wie ein Leuchtturm wirken, der Orientierung gibt.

Eliasson hätte kaum ein besseres symbolisches Kunstwerk schaffen können, das nicht nur architektonisch, sondern eben auch metaphorisch für diesen Ort als künstlerische Begegnungsstätte einsteht.

 

Josephine Ackerman

 

[1] https://www.e-flux.com/announcements/40593/olafur-eliasson-light-lab-2006-2008/, abgerufen am 03.02.2021.

[2] Vgl. Schöneich, Fabian, https://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/59324052/FoFra_2015_2_Beleuchtung_Olafur_Eliasson_LightLab_im_Portikus.pdf, abgerufen am 17.01.2021.

[3] Vgl. https://www.baunetzwissen.de/schiefer/objekte/kultur-bildung/kunsthalle-portikus-in-frankfurt-am-main-72554, abgerufen am 13.01.2021.

[4] Vgl. Siteco: licht+design, 01/2008, S. 14.

[5] Vgl. https://www.baunetzwissen.de/schiefer/objekte/kultur-bildung/kunsthalle-portikus-in-frankfurt-am-main-72554, abgerufen am 13.01.2021.

[6] Van Tuyl, Gijs: Your lighthouse. Visuelles Fest im transparenten Museum. Vorwort, in Olafur Eliasson (Hrsg.): Your Lighthouse. Arbeiten mit Licht 1991-2004, Ostfildern-Ruit 2004, S. 8.

[7] Vgl. ebd, S. 8.

[8] Siteco 2008 (wie Anm.4), S. 17.

[9] Vgl. Von Tuyl 2004 (wie Anm. 7), S. 7.

[10] Ebd., S. 7.

[11] Fabian Schöneich 2015 (wie Anm. 2), abgerufen am 21.01.2021.

Thomas Emde

Lichtinstallation, 1999

© beide Abbildungen: Thomas Emde

Commerzbank-Tower

Kaiserplatz / Innenstadt

S, U Hauptwache

Der Commerzbank-Tower mit seiner Lichtinstallation gilt als Wahrzeichen von Frankfurt. Das von Lord Norman Foster entworfene Hochhaus wird zwei Jahre nach der Fertigstellung des Gebäudes durch Thomas Emdes Lichtinstallation bei Nacht in gelbes Licht gehüllt.

Im Sommer 1999 trat Emde mit der Vision an den Vorstand der Commerzbank AG heran, das damals höchste Bürogebäude Europas als erstes Hochhaus Frankfurts mit einer künstlerischen Lichtinstallation auszustatten. Bereits in der Silvesternacht zum Jahr 2000 wurde die Lichtinstallation in Betrieb genommen. Das Projekt wurde durch die Gruppe Blendwork, bestehend aus dem Künstler Thomas Emde, dem Kunsthistoriker Peter Fischer, dem Lichtplaner Ralf Teuwen und dem Lichtdesigner Gunther Hecker, realisiert. Die Idee der Gruppe zielte auf ein der Architektur angepasstes Licht: „Wir wollen Gebäude nicht bloß beleuchten, sondern mit dem Licht die Kunst des Baus definieren und eine die Architektur interpretierende Lichtgestaltung entwerfen.“[1]  Emdes Idee für die Beleuchtung des Commerzbank Towers war es, das Hochhaus aus der Anonymität der Nacht hervorzuheben. Zu Beginn des Projekts fertigte Emde mit seinem Team eine Computersimulation an.

Architektur und Licht in Korrespondenz

Der Grundriss des Gebäudes ist dreieckig und in der Mitte befindet sich ein verglaster Kern. Um diesen Kern schrauben sich spiralförmig neun verglaste Gärten, die jeweils über vier Stockwerke reichen. Die dadurch entstehende Transparenz ist ein wichtiger Leitgedanke des architektonischen Konzepts. Fosters Idee der Transparenz wurde von der Gruppe Blendwork als Leitgedanke für die Lichtinstallation aufgenommen. Das Beleuchtungskonzept ist somit spezifisch auf dieses Hochhaus ausgerichtet und nicht auf andere Gebäude übertragbar. Tagsüber fällt das Licht von außen durch die verglasten Gärten hinein, nachts strahlt das von Emde installierte Licht an gleicher Stelle heraus. Dabei war es dem Künstler wichtig, dass das Licht als solches hervortritt, ohne dass die eingesetzte Technik zum Vorschein kommt.[2]

Zusätzlich zu den Gärten werden auch der fragmentarische Gebäudeabschluss sowie die Antenne vertikal mit gelbem Licht beleuchtet. Um Blendeffekte zu vermeiden, wurden hierfür 72 bis zu 400 Watt starke Lampen mit speziellen Filtern und Blendrastern verwendet. Von der Commerzbank AG wurden keine Vorgaben bezüglich der Lichtfarbe gemacht. Für den von Emde gewünschten Gelbton, der sich nicht mit dem Gelb des Commerzbanklogos beißen sollte, gab es kein marktübliches Produkt. Somit musste ein Leuchtmittelhersteller für die gewünschte Farbe erst eine spezielle Gasmischung entwickeln, die in insgesamt 60 Halogen-Metalldampflampen für die Beleuchtung der Gärten zum Einsatz kommt.[3] Bei der Planung wurde zudem Rücksicht auf die sich in den Gärten befindlichen Pflanzen genommen und ein Botaniker zu Rate gezogen. Die Lichtstärke in den Gärten beträgt 100 Lux und ist somit für die Pflanzen unschädlich. Die Installation wird vollautomatisch über einen Dämmerungssensor gesteuert. Fällt die Tageslichtintensität unter 50 Lux, wird die Beleuchtung eingeschaltet. Somit variiert die Beleuchtungsdauer je nach Jahreszeit. Durchschnittlich ist die Lichtinstallation 10 Stunden am Tag zu sehen. Der Betrieb der Anlage verbraucht mit lediglich 32 Kilowatt pro Stunde verhältnismäßig wenig Strom. Die Commerzbank AG ist für die Wartung und Instandhaltung der Installation zuständig. Alle 12 bis 15 Monate werden die Leuchtmittel ausgetauscht.[4]

Arbeit von Emde auch im Inneren

Thomas Emde ist nicht nur als Lichtkünstler tätig. Im Foyer des Commerzbank Towers befindet sich seit 1997 das Wolkenvlies, das größte seiner aus reiner Farbmaterie bestehenden Arbeiten. Auch dieses Werk wird durch den Einfall von natürlichem Licht beeinflusst. Das Wolkenvlies entstand auf einer Glasmatrize mit punktuellen Erhöhungen, die das Motiv wiedergaben. Die erste Farbschicht wurde auf der kompletten Matrize aufgetragen, sodass ein Farbgrund mit Noppenraster entstand. Die Noppen wurden dann mit hunderten von dünnen Farbschichten in fünf verschiedenen Tönen weiter aufgebaut. Das erzeugt den Effekt, dass sich die Farbigkeit des Wolkenvlies je nach Betrachterstandpunkt optisch zu verändern scheint.[5] Neben dem Commerzbank Tower realisierte er noch weitere Lichtinstallationen in Frankfurt. Hierzu zählen die Beleuchtung des Kaiserdoms St. Bartholomäus und des DoubleTree Hotels in Niederrad.

 

Janina Maus

 

Weitere Arbeiten von Thomas Emde:

Thomas Emde, Lichtinstallation, 2010, Kaiserdom St. Bartholomäus, Domplatz 1 / Altstadt

Thomas Emde, Lichtinstallation, 2005, Hotel DoubleTree by Hilton (ehemals Innside), Herriotstraße 2 / Niederrad

 

[1] Emde, Thomas: Fiat LUX! Die künstlerische Lichtgestaltung, in: Hochbauaumt der Stadt Frankfurt (Hrsg.): Der Frankfurter Domturm. Stadtbild, Geschichte, Restaurierung, Bonn 2009, S. 168-172, hier S. 168

[2] v. Ungern-Sternberg, Marie-Christine: Das Licht als Medium der Kunst, in: LICHT 10/2000, S. 1054-1057

[3] Sütter, Heike: Leucht-Turm. Die Lichtinstallation des Commerzbank-Hochhauses in Frankfurt, in: ARTKaleidoscope 2001, o.S.

[4] Ebd.

[5] Danicke, Sandra: Ein Wolkenmeer, in: ARTKaleidoscope 1997, o.S.

 

Thomas Emde

Lichtinstallation, 2005

© beide Abbildungen: Thomas Emde

Hotel DoubleTree by Hilton (ehemals Innside), Foyer

Herriotstraße 2 / Niederrad

S Frankfurt-Niederrad

zur Zeit außer Betrieb / Gebäude geschlossen

Zentral gelegen im Lyoner Quartier – das bis 2017 noch Bürostadt Niederrad hieß, sich aber zunehmenden in ein Mischgebiet für Wohnen und Arbeiten wandelt – befindet sich das Hotel in der Herriotstraße. Das 2005 fertig gestellte Innside-Hotel der spanischen Meliá-Gruppe firmiert heute unter DoubleTree by Hilton und ist zur Zeit wegen Renovierung geschlossen.

Die Lobby im Eingangsbereich des Hotels erstreckt sich über alle sechs Etagen des Gebäudes. Architektur und Interieur waren – zumindest bis zur Renovierung – durch eine eher geometrisch reduzierte Formensprache mit klaren, farbigen Akzenten geprägt. Hieran orientierte sich die Lichtinstallation des Frankfurter Künstlers Thomas Emde, die ebenfalls 2005 für den Luftraum der Lobby geschaffen wurde.

Dreidimensionales Gitter aus Lichtröhren

Röhrenelemente, zu dritt oder viert jeweils im 90-Grad-Winkel untereinander angeordnet, bilden über die gesamte Breite des Lobbybereichs ein luftiges, dreidimensionales Gitterraster, das an einem Traversensystem von der Decke abgehängt ist. Die Röhrenelement wurden speziell für die Installation entwickelt und bestehen aus einer opaken Kunststoffhülle, in der sich farbsteuerbare RGB-LEDs befinden. Durch eine entsprechende Programmierung ist jede einzelne LED ansteuerbar und dimmbar, so dass sich damit alle Farben des Spektrums sowie fließende Farbübergänge generieren lassen.

Konzeptioneller Ansatzpunkt des Künstlers ist die Idee eines immateriell-leichten Kubus, der den Luftraum füllt und die geometrische Formensprache des Umraums mit ihrer Dominanz des rechten Winkels ästhetisch aufgreift. Neben den sichtbaren Elementen der Installation – die Röhren und die sie tragenden Traversen – soll das Licht die Gesamtform einer Wolke vergleichbar umhüllen und verbinden. Dies wird zum einen durch die Lichtstreuung erreicht, die durch die opaken Hüllen rund um die LEDs entsteht. Zum anderen ist die Installation als Gesamtes dynamisch steuerbar; Thomas Emde hat für sie verschiedene ganzheitliche Lichtkompositionen entwickeln, die den Eindruck eines sich ständig verändernden Licht-Farb-Kubus unterstützen.

Skulpturale Arbeit

Blickt man auf das Gesamtoeuvre Thomas Emdes, so wird deutlich, dass die Installation in Niederrad eine Sonderstellung einnimmt. In seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Medium Licht steht bei Emde eher die Idee einer immateriellen Farbemanation im Mittelpunkt. Der Raum soll sich durch Licht in einen Farbraum verwandeln, wobei Licht als immaterialisierte Farbe verstanden wird. Die Lichtquelle soll dabei möglichst in den Hintergrund treten und dem Licht die raumschaffende Rolle zukommen lassen. Sowohl bei Arbeiten im Innenraum – wie etwa den Schönhauser Allee Arcaden in Berlin – als auch bei seiner Architekturbeleuchtung – in Frankfurt beispielsweise des Domes oder der Commerzbank – spielen die Lichtquellen als sichtbare Form keine Rolle. Im Gegensatz dazu sind bei dieser Arbeit die konstruktiven Elemente sichtbar und bestimmen die skulpturale Qualität der Installation in erheblichem Maße.

Innovative Technik

Technisch betrachtet ist die Niederräder Installation für ihre Entstehungszeit eine sehr innovative Arbeit. So geht die Anwendung der additiven Farbmischung zur aktiven Erzeugung wechselnder Farben in der Geschichte der Lichtkunst zwar bereits auf die Experimente des Bauhauses – etwa Ludwig Hirschfeld-Macks Reflektorische Farbenspiele ab 1922 – zurück.[1] Mit zunehmender Entwicklung der Steuerungstechnik und schließlich Digitalisierung nutzten immer mehr Künstler Lichtquellen in den Grundfarben Rot, Grün und Blau (RGB) in Form von Glühbirnen oder Leuchtstofflampen, um dynamisch wechselnde Lichtfarben und ganze Lichtpartituren herzustellen. Auch Thomas Emde setzte 1999 für die bereits erwähnte Installation in den Schönhauser Allee Arcaden RGB-Leuchtstofflampen ein;  mit dem Einsatz von LEDs bereits 2005 gehörte er zu den frühen Anwendern. Mittlerweile sind farbsteuerbare LED-Systeme leicht zu handhaben und ubiquitär verfügbar – und sind somit leider oftmals auch zum Massen-Gimmick zur Erzeugung trivialer Lichteffekte geworden.

Für Thomas Emdes Installation in Niederrad bleibt abschließend zu hoffen, dass sie nach der Renovierung des Hotels wieder in Betrieb genommen wird und so ein kleines Stück Lichtkunstgeschichte aufscheinen lässt.

 

Heike Sütter

 

Weitere Arbeiten von Thomas Emde:

Thomas Emde, Lichtinstallation, 1999, Commerzbank-Tower, Kaiserplatz / Innenstadt

Thomas Emde, Lichtinstallation, 2010, Kaiserdom St. Bartholomäus, Domplatz 1 / Innenstadt

 

[1] Vgl. Glüher, Gerhard: Licht – Bild – Medium. Untersuchungen zur Fotografie am Bauhaus, Berlin 1994, S. 27 ff.

Thomas Emde

Lichtinstallation, 2010

© Thomas Emde

Kaiserdom St. Bartholomäus

Domplatz 1 / Altstadt

U, Tram Dom/Römer

Der Frankfurter St. Bartholomäus-Dom erstrahlt seit dem Jahr 2010 mit Einbruch der Dunkelheit in einem neuen Licht. Der Künstler Thomas Emde, der bereits in den 1990er Jahren den von Norman Foster erbauten Commerzbank-Tower sowie 2005 den Römer mit Licht versah, entwickelte für den Sakralbau ein durchdachtes Lichtkonzept, dass nicht nur die Architektur, sondern auch die Symbolik der im frühen 15. Jahrhundert erbauten Kirche berücksichtigt.

Jedoch ist seit dem Bau der Neuen Alstadt und der damit einhergehenden städtebaulichen Umstrukturierung das ursprüngliche Konzept des Künstlers kaum noch nachzuvollziehen. Nicht nur mit Blick auf die nachfolgend skizzierten, zum Teil nur beschränkt wahrnehmbaren Elemente des holistischen Lichtkonzeptes, sondern auch und gerade in Anbetracht der zentralen Funktion des Doms als Herzstück des mittelalterlichen Frankfurts erscheint es folglich lohnend, Möglichkeiten zur Anpassung des Konzeptes an die nachträgliche Umstrukturierung des Altstadtkerns auszuloten.

Das ursprüngliche Gesamtkonzept

Das Gesamtkonzept Emdes umfasst neben einer Grundbeleuchtung des Kirchenschiffs mit Akzentuierung der Fensterlaibungen, die Beleuchtung des Turmes mit seinem Nord- und Südportal sowie im Inneren die Illumination des Bartholomäusreliefs an der Nordwand des Kreuzganges und die der vollplastischen Kreuzigungsgruppe zwischen Hochor und nördlichem Querhaus.

Aktuell ist der Dom bei Nacht ausschließlich von dem Schein der umstehenden Straßenlaternen beleuchtet, lediglich der Turm des Domes erstrahlt in seinem ursprünglichen Licht.

Der 95 Meter hohe Domturm im spätgotischen Stil lässt sich in drei Abschnitte gliedern: Der untere Abschnitt mit Portal zum Domplatz lässt sich durch die auf der Horizontalen liegenden hohen Fenster mit darüber liegenden Arkaden beschreiben, es folgt ein Mittelteil auf oktogonalem Grundriss, der dreibogige Spitzbogenfenster zeigt. Diese sind nicht verglast und geben die dahinter befindlichen Wandöffnungen frei. Abgeschlossen wird der Domturm mit einem Umgang, einer Kuppel und schließlich einer darauf sitzenden Laterne. Insgesamt wird der Schaft von Eckfial-Türmchen begrenzt und weist ein reiches ornamentales und figurales Bildprogramm auf.

Emde positionierte die Lichtquellen auf der gesamten Mittelachse des Turmschaftes zwischen den verglasten Fenstern und den Wandöffnungen. Durch die Beleuchtung dieses Zwischenraums scheint das Licht von Innen nach Außen zu dringen. Dabei verläuft es von der in den unteren Schatten der Zwischenräume befindlichen Quelle aus in strahlend gelblichen Tönen die aus Sandstein bestehenden Wände hinauf und entwickelt sich an den Seiten zu einem orangen bis dunkel-rötlichen Schimmer. Der obere Bereich des Innenraums ist in den tieferen Turmöffnungen hell erleuchtet, bei den Öffnungen des darüber liegenden Oktogons hingegen fließt das rötliche Licht in die Schatten des Maßwerks und wird schließlich von ihnen verschluckt.

Die Beleuchtung des oberen Turmbereichs unterscheidet sich vom restlichen Schaft auch insofern, als das Licht die Form der Kuppel-Architektur bei Nacht nachbildet. Eine Krone aus rötlich-goldenem Licht erstrahlt über dem alten Stadtkern Frankfurts in alle vier Himmelsrichtungen und greift damit eine trichotome Symbolik auf: Der Dom als Zeichen der göttlichen Macht, als Ausdruck weltlicher Macht mit der Funktion Frankfurts als Ort der mittelalterlichen Königswahlen sowie die ganz konkrete Symbolik des Turmes als höchstes Bauwerk der Stadt und die damit im Mittelalter zusammenhängende praktische Schutzfunktion für seine Bürger.

Änderung der stadträumlichen Situation

Das Lichtkonzept des Doms wurde für eine Altstadt-Situation entwickelt, die einen von drei Seiten ansichtigen Domturm vorsah: Die Hauptfront in nördlicher Richtung gen Domplatz, die Südseite, die weit über den Mainkai hinaus sichtbar ist, sowie die westliche Ansicht von Markt und Römer. Beide Seiten übernehmen das Lichtkonzept der Hauptfront. Seit Fertigstellung der Neuen Altstadt im Jahr 2018 stellt sich die Situation anders dar. Zwar sind Zugang und Blick vom Domplatz und Mainkai aus nach wie vor unbeschränkt, der Weg und das Blickfeld vom Römer in Richtung Dom sind hingegen nun von kleinen Gässchen mit spitzgiebligen Fachwerkhäusern verstellt, sodass bei Nacht der beleuchtete Turm nur ab und an durch freie Lücken blitzt. Durch den Bau der Neuen Altstadt entfallen außerdem nicht unerhebliche Elemente der Lichtinstallation Emdes:  Zuvor wurden neben dem Kirchenschiff auch die feingliedrigen Fialen des Turmes von umstehenden, nun nicht mehr vorhandenen Gebäuden aus angestrahlt­ ­– und so architektonisch hervorgehoben.

Insgesamt betont Emde mit der Beleuchtung der Öffnungen die Vertikale des Turmes und greift so die Intention des mittelalterlichen Stadtbaumeisters Madern Gertherner auf, einen Turm zu bauen, der dem Himmel entgegenstrebt.

Gotische Lichtmetaphysik

Die Betonung von Vertikalität und die Einbindung von Licht sind zentrale Charakteristika der Gotik. Ausgehend vom sogenannten Gründungsbau der Gotik, die Pariser Kathedrale St. Denis, kann die Zeit zwischen dem 12. bis 15. Jahrhundert als der Höhepunkt sakraler Lichtarchitektur verstandenen werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Erwähnung der bereits in der Antike ihren Ursprung findenden Metaphysik wichtig, die durch den Heiligen Dionysius, St. Denis, in Verbindungen mit dem christlichen Glauben gebracht und von dem für den Bau der Kathedrale zuständigen Abt Suger vermutlich umfassend studiert wurde. Mit dem Glauben, dass alles Irdische den Glanz Gottes aufnehme, entstanden Bauwerke, die dank des Strebens gen Himmel lichtdurchflutet waren. Das Einsetzen von Buntglasfenstern sorgte außerdem für ein scheinbar göttliches Licht im Inneren der Kirchen.

Auch das Licht selbst war und ist als religiöse Metapher zu verstehen. Während das Sonnenlicht in zahlreichen Kulturen in Verbindung mit dem Göttlichen steht, geht die Bedeutung in den monotheistischen Religionen weiter. Hier steht es für den Anfang aller Dinge: „Am Anfang der Schöpfung schuf Gott das Licht und schied es von der Finsternis.“ (Gen.1,3)

Aber nicht nur wird das Licht als das Ursprünglichste verstanden, auch scheint das Licht eine sich bedingende Verbindung zur Dunkelheit aufzuweisen. Der bewusste Einsatz diese Gegensatzpaares in Architektur und Liturgie symbolisiert seit jeher die Anwesenheit des Göttlichen.

Licht bedeutete im historischen Kontext allerdings entweder natürliches Licht – Sonnenlicht – oder künstliches Licht – das Kerzen- oder Fackellicht. An Kerzen- oder Fackellicht erinnert auch die von Emde kreierte Außenbeleuchtung am Domturm, deren warme, verlaufende Töne durch in den Ecken positionierte Leuchtmittel erzeugt werden, die mit dichroitischen Gläsern kombiniert wurden, also einem Glas, dessen Farbwirkung durch den Einfallswinkel des Lichtes bestimmt wird. Der sonst fast vollständig dunkle Domplatz sorgt dafür, dass der sich in der Dunkelheit befindliche Mensch sich von dem sanften und warmen Leuchten des Doms angezogen fühlt.

Emde schafft es, mit dem Anschein eines aus dem Kircheninneren kommenden Kerzenscheins, ein Stück weit die reale mittelalterliche Situation bei Nacht zu rekonstruieren – denn wenngleich der Dom das Zentrum im mittelalterlichen Stadtgefüge markierte, so war er bei Nacht in der Dunkelheit verschwunden und lediglich durch das Licht in seinem Inneren, welches durch die Fenster hinaus schien, beleuchtet.

Die äußere Beleuchtung von Gebäuden wurde erst mit der Erweiterung der Nacht zum menschlichen Lebensraum notwendig und zunächst nur durch die Straßenbeleuchtung mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert realisiert. Auch mit Hilfe von Bogenlampen wurden „sonnenartig“ Gebäude über weitere Distanzen hinweg angestrahlt, aufgrund ihrer geringen Leuchtdauer blieben derartige Installation allerdings temporär. Mit der seriellen Produktion der Glühbirne und im Nachgang der insoweit paradigmatischen Weltausstellungen 1900 in Paris wurden erstmals Lichterketten in großer Stückzahl hergestellt und vielerorts an Gebäuden appliziert. Damit war der Weg für die Außenbeleuchtung auf der ganzen Welt geebnet. Heute scheint gerade bei Kirchen die Verwendung von am Boden positionierten Strahlern üblich. Dies hat allerdings zur Folge, dass sich die Architektur der Kirche bei Nacht auflöst und nur bestimmte Teile der Kirche hervorgehoben werden – der Rest verschwindet in der Dunkelheit.

Rücksichtsvolles Licht

Der Domturm, der lange Zeit das höchste Gebäude Frankfurts war und – in geringerem Maß auch heute noch – von weitem einen Orientierungspunkt bildetet, kann sich mit den modernen Hochhausriesen des 20. und 21. Jahrhunderts mit Blick auf deren schiere Ausmaße nicht mehr messen. Er scheint getrennt von der modernen Stadt zu stehen und gleichsam immer noch ein Kernstück des alten Frankfurts zu sein. Er und sein umliegender Platz wirkt bei Nacht anziehend – ein Ort der Reflektion und Ruhe von den hellen Lichter des Straßenverkehrs, den bis in die späten Abendstunden belichteten Bürogebäuden und den gleißend hellen Fassaden und Schaufenstern der Neuen Altstadt.

Mit seinem ausgefeilten, auch historisch informierten Dom-Konzept schafft Thomas Emde eine Beleuchtung, die „der Entstehungszeit gerecht wird und einbezieht, welche ästhetische Wirkung das Licht damals entfaltete“[1] – er spielt mit dem Licht und der Dunkelheit, mit dem Ergebnis einer uns neuen, aber keinesfalls nie dagewesen Situation, in der wir uns wohl fühlen und wieder die „Augen für eine gute Nacht“[2] öffnen können.

Thomas Emde wurde 1959 in Korbach geboren und schloss nach einer Ausbildung zum Farbretuscheur erfolgreich das Studium der Freien Kunst in Kassel und Berlin ab. 1990 kam er zurück nach Hessen und lebt und arbeitet seitdem in Frankfurt am Main. Emde beleuchtete Architekturen im internationalen Raum, ab 2011 insbesondere im Mittleren Osten

Einen über die Grenzen der Disziplin hinaus bekannten Höhepunkt seines Oeuvres bildet das Lichtkonzept des damals höchsten Gebäudes Europas – dem Commerzbank-Tower im Jahre 1999. Die künstlerische Auseinandersetzung mit architekturbezogenen Lichtinstalllationen betrachtet er mittlerweile für sich als abgeschlossen.  Zu hell, bunt und flackern sei die Welt geworden, sie bedürfe eher weniger und besseres als mehr Licht, ist der Künstler überzeugt. Aktuell widmet er sich der Erforschung und Entwicklung von organischen Lichtquellen und brachte die weltweit erste Leuchten-Familie mit sogenannter OLED-Technologie auf den Markt.

Ob modernes Hochhaus oder spätgotischer Domturm: Thomas Emde schafft es mit seiner Lichtkunst, nicht nur das Gebäude in der Dunkelheit sichtbar zu machen. Seine Lichtkonzepte zeigen und interpretieren die Architektur des Gebäudes in seiner städtebaulichen Umgebung und als Zeugnis ihrer Zeit.

 

Elisa Schifferens

 

Weitere Werke von Thomas Emde:

Thomas Emde, Lichtinstallation, 1999, Commerzbank-Tower, Kaiserplatz / Innenstadt

Thomas Emde, Lichtinstallation, 2005, Hotel DoubleTree by Hilton (ehemals Innside), Herriotstraße 2 / Niederrad

 

 

[1] Emde, Thomas: Fiat Lux! Die künstlerische Lichtgestaltung, in: Hochbauamt der Stadt Frankfurt am Main(Hrsg.): Der Frankfurter Domturm. Stadtbild, Geschichte, Restaurierung, Bonn 2009, S. 169.

[2] Ebd. S. 172.

Tim Etchells

will be (Frankfurt), 2011

© beide Abbildungen: Tim Etchells & Künstlerhaus Mousonturm, Fotos: Tim Etchells

Neonarbeit in zwei Teilen

Künstlerhaus Mousonturm, Fassade und Foyer

Waldschmidtstraße 4 / Ostend

U Merianplatz

Foyer zur Zeit nur eingeschränkt betretbar

Zukunft ist Möglichkeit und Unmöglichkeit zugleich. Ein nicht greifbares Konstrukt voller Unsicherheit und (Un)Wahrscheinlichkeit. Man kann darüber spekulieren, ja vermuten und sich sprachlich ausmalen, wie die Zukunft sein könnte. Man kann sich dadurch eine Zukunft erfinden, die laut, absurd, anders als gedacht oder genauso sein wird wie das Jetzt. The future will be confusing – Die Zukunft wird verwirrend sein. Das antwortet Tim Etchells Installation will be auf die große Frage nach der Beschaffenheit der Zukunft. Die Neonarbeit besteht aus zwei Wand-Installationen, in denen jeweils serifenlose, aus Glasröhren gefertigte und mit verschiedenen Leuchtstoffen oder Edelgasen gefüllte Buchstaben zu sehen sind. Will be ist keine einmalige Installation, sondern existiert bereits seit 2010 an und in unterschiedlichen Orten und Räumlichkeiten.[1] Das Frankfurter Exemplar stellte die Firma Nordlicht 2012 im Auftrag des Künstlers und dessen Auftraggeber und Träger des Werkes – dem Künstlerhaus Mousonturm – im Zuge der Wiedereröffnung des Hauses her.

Ordnung und Unordnung

Der erste Teil von Will be befindet sich an der Außenfassade des Mousonturms in einer Höhe, die es nötig macht, stehen zu bleiben und den Kopf zu heben. Mittig zwischen dem zweiten und dritten Obergeschoss angebracht, kann die Installation erst mit einigen Metern Abstand zum Gebäude richtig erkannt werden. In relativer Dunkelheit heben sich die leuchtenden, bunten Buchstaben dabei wesentlich stärker von der rötlich-braunen Hausfassade ab als sie es bei Tageslicht tun. Im ersten Teil der Arbeit sind diese Buchstaben zu einem zusammenhängenden Satz in englischer Sprache geordnet: The future will be confusing – die Zukunft wird verwirrend sein – leuchtet den BetrachterInnen entgegen. Die grammatikalische Nutzung des Future I – umgangssprachlich auch als Will-Future bekannt – deutet dabei an, dass es sich um eine Zukunft handelt, die unabhängig von den eigenen Entscheidungen eintreffen kann und dass der Satz eine Vermutung ist: Es könnte so sein – oder eben auch nicht. Man begegnet im Lesen des Satzes einer potenziellen Unsicherheit darüber, was sein wird, die durch die unterschiedliche und zufällige Farbigkeit der Buchstaben noch verstärkt in Erscheinung tritt. Das Neonlicht wiederum betont die Zeitlichkeit der Zukunft, ist es doch ebenfalls an Parameter der Zeit gebunden. Zugleich nimmt es – ähnlich wie in Werbereklamen – die Funktion des Aufmerksamkeitserregers ein.[2]

Den zweiten Teil der Arbeit ist erst beim Betreten des Mousonturms zu sehen, da er im Foyer des Hauses angebracht ist. Im Inneren angekommen erkennt man, dass das Werk zwar von der Foyer-Beleuchtung begleitet wird, aber dennoch eine eigenständige Leuchtkraft besitzt. Anders als dem Satz an der Fassade, kann man diesem Teil, den einzelnen Buchstaben, nahe entgegentreten, die Wand ablaufen und frei entscheiden, ob man durch nahes Herantreten nur wenige oder durch ein Wegtreten alle Buchstaben sehen will. Im zweiten Teil der Neonarbeit sind die einzelnen Buchstaben aus der Formation des Satzes gelöst und in ihrer Singularität über die Wand verteilt. In der formalen Un-Ordnung der einzelnen Buchstaben, die keinen sinnstiftenden Satz mehr erkennen lässt, verfestigt sich die im ersten Teil vorhandene imaginative Unbeständigkeit. Das Chaos der Transposition führt bildhaft vor Augen, dass ein Verständnis im herkömmlichen Sinn nicht mehr funktioniert; dass Sprache buchstäblich zerfällt – also Worte, Versprechen und Parolen ihren Zusammenhang verlieren.

Mousonturm als Möglichkeitsort

Der Träger der Installation, der Mousonturm im Frankfurter Ostend, ist Teil der freien Theaterszene der Stadt. Das Gebäude ist eine ehemalige Seifenfabrik namens Mouson, das seit 1988 zeitgenössische Produktionen aus den Bereichen Theater, Performance, Tanz, Musik und bildender Kunst beherbergt. Im Zuge einer bautechnischen Verabschiedung der ursprünglich barockhaften Innenarchitektur hin zu einer offenen und experimentellen Spielstätte sanierte man das Haus Anfang 2012 unter der Intendanz von Niels Ewerbeck. Die Wiedereröffnung und damit auch die offizielle Einweihung der Neonarbeit von Etchells fand am 6. September des gleichen Jahres statt und sollte laut Ewerbeck zugleich der Startschuss einer neuen Ausrichtung der „Künstlerfabrik“ sein.[3] Zu Etchells Neonarbeit äußerte der damalige Intendant Ewerbeck: „Diese Arbeit von Etchells ist für mich extrem wichtig, da sie den Kern dessen beschreibt, was ein Haus wie der Mousonturm können soll: Versprechungen auf eine sichere Zukunft, die uns täglich gegeben werden, substanziell zu misstrauen, und dieses Misstrauen produktiv, aber auch lustvoll zu hegen.“[4]

Etchells Neonarbeit wird in diesem Zitat eindeutig die Fähigkeit zugesprochen, den Mousonturm als Schauplatz, als Bühne einer Vorstellung zu festigen, in der das Potenzial für Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen erschöpft werden kann. Deren Entfaltung hängt stark damit zusammen, dass die BetrachterInnen im realen Umfeld des Werkes ihren Teil dazu beitragen müssen, die beiden Werkteile zu verstehen und zu einer kohärenten Aussage zusammenzuführen. Denn die zweiteilige Lichtinstallation ist räumlich in ein Außen und Innen unterteilt, das zugleich einhergeht mit einer Sinnhaftigkeit und einer Sinnlosigkeit. Sobald die tragende Architektur der Installation betreten wird, begeben sich die BetrachterInnen in eine Sphäre der potenziellen Unordnung, einen Chaosraum, in dem im Grunde alles möglich ist und der durch das experimentelle Theater im Herzen des Hauses eine leibhafte Erfahrung dieser Möglichkeit erlaubt. Beim Verlassen des Hauses findet man sich wieder im urbanen Raum der Ordnung. Hier ordnet sich das Buchstabenchaos in verständliche Wortgefüge, so ominös deren Bedeutung auch ist.

Wirklichkeitsproduktion durch Sprache

Begreift man die reine Erscheinung von Sprache als ihr performatives Potenzial, so ist jedes sichtbare Wort, jeder materialisierte Satz dazu prädestiniert, eine kontext- und situationsabhängige Wirklichkeit herzustellen. In den konzeptionellen Arbeiten von Bruce Nauman und Joseph Kosuth, an die Etchells Arbeiten stilistisch erinnern, sind es vor allem einzelne Worte oder unbeendete Sätze, die solche Wirklichkeiten erzeugen.[5] Hervorgebracht werden sie durch das materielle Spiel von Inhalt und Erscheinungsform, etwa in der Darstellung von durchgestrichenen, miteinander verbundenen, in Anführungszeichen gesetzten und typografisch verschiedenen Sätzen und Worten. Es werden konzeptuelle Ideen, Querverbindungen und Assoziationen präsentiert, die zu gedanklichen Bilder anregen. Konzeptuelle Werke fordern uns implizit dazu auf, das sprachlich Hervorgebrachte selbstständig imaginativ herzustellen, indem sie uns mit der Tatsache konfrontieren, ja irritieren, dass sie ein Bild davon nicht selbst zeigen. Diese dem Werk immanente Irritation – oder um mit Wolfgang Iser und Wolfgang Kemp zu sprechen – diese Leerstelle lässt sich nur mit unserer subjektiven Vorstellung füllen.[6] So werden die BetrachterInnen zu ZeugInnen eines unsichtbaren Werkes und darüber hinaus zu AkteurInnen, indem sie gedanklich etwas Zusätzliches sehen und zusammenführen, dass an sich nicht-sichtbar ist: „Jenseits von dramatischer Repräsentation und performativer Präsenz“ – um es mit Benjamin Wihstutz Worten zu sagen – „geht es dabei um die Bühne [in diesem Fall um Sprache – Anm. PG] als Möglichkeitsraum; um [einen Ort] der Einbildung zwischen Wahrnehmung und Phantasie“,[7] in dem sowohl das Mögliche als auch das Unmögliche seinen Platz findet.

Betrachten als performativer Prozeß

In Etchells Neonarbeit will be bleibt es allerdings nicht bei diesem Stadium. Im Gegenteil erhalten wir bei der zweiteiligen Neonarbeit ein konkretes ikonographisches Angebot, wie wir uns die prognostizierte Zukunft vorzustellen haben. Das im Satz angelegte, provozierte Bild einer Unbeständigkeit materialisiert sich gewissermaßen dadurch, dass die Sinnhaftigkeit des Textes mit der im nicht mehr sinnhaften Buchstabenchaos angelegten Bildlichkeit verknüpft wird. So beschaut man zwar einen leuchtenden, bunten Neonschriftzug, aber auch viele leuchtend bunte Neonbuchstaben; Schrift und Sinn einerseits und ein Schriftbild und Unsinn andererseits. Das Werk, von dem man bei will be spricht, ist eben nicht bloß der eine, sprachlich kohärente Teil. Erst das Durchschreiten des Außen hin zum Inneren und wieder zurück bringt neben der gedanklichen Weiterführung der Prophezeiung eine weitere Dimension vom performativen Potenzial der zweiteiligen Neonarbeit zum Vorschein. Indem man außerhalb des Mousonturms im gefestigten Satzgefüge sieht, was nicht da ist, und sich vorstellt, was man nicht sehen kann, erkennt man innerhalb des Mousonturms im losen Buchstabenarrangement das ikonografische Ergebnis der Prophezeiung. Das Durchschreiten des Außens in das Innere macht die BetrachterInnen zu VermittlerInnen zwischen diesen beiden Instanzen. Sie versöhnen die beiden Pole miteinander im Augenblick ihres Da-Seins. So wird Performativität bei Etchells Werk auch im Sinne von Fischer-Lichtes Begriffsverständnis durch die (aktive) körperliche Ko-Existenz der BetrachterInnen im Bezug auf das Werk hergestellt.[8] In will be nehmen die BetrachterInnen die Funktion eines fehlenden Scharniers – der Leerstelle – im Werk ein. Sie verknüpfen Schrift und Schrift-Bild, erzeugen eine Einheit. Es ist als sagte man durch das Eintreten ins Künstlerhaus: „Die Zukunft wird verwirrend sein. Kannst du es sehen?“

Tim Etchells (*1962) arbeitet in und mit verschiedenen Medien. Zu seinen Werken zählen Zeichnungen, Prints, Fotografien, Video- und Soundarbeiten, Installationen, Performances, Neon-und LED Arbeiten. Der britische Künstler, Theatermacher und Gründer des Kollektivs Forced Entertainment nutzt dabei Sprache als Indikator für etwas in der Betrachtung des jeweiligen Objektes Nicht-Sichtbares. Als solche Verweise auf das Unsichtbare – und damit auch auf das Ungewisse – erfordern seine Installationen die Imagination zu nutzen, um das jeweilige Werk zu komplementieren.

 

Zukunft, die

Substantiv, feminin

eigentlich = das auf jemanden Zukommende
1. a) Zeit, die noch bevorsteht, die noch nicht da ist; die erst kommende oder künftige Zeit (und das in ihr zu Erwartende); b) jemandes persönliches, zukünftiges Leben; jemandes noch in der Zukunft (1a) liegender Lebensweg
2. Zeitform, die ein zukünftiges Geschehen ausdrückt; Futur
Beispiele: eine unsichere, ungewisse Zukunft; wir wissen nicht, was die Zukunft bringen wird
– Duden.de (2020)[9]

 

Paula Günther

 

[1] Weitere Versionen von will be wurden unter anderem in Bremen, Durham, London und Birmingham ausgestellt. Allen Arbeiten gemein ist das Präsentieren beider Werkteile in einer nachvollziehbaren Nähe zueinander.

[2] Vgl. Andrea Domesle: Leucht-Schrift-Kunst. Holzer, Kosuth, Merz, Nannucci, Nauman, Berlin 1998, S. 78–79.

[3] Broll, Simon: Mousonturm Frankfurt. Ein Ufo mit offenen Türen (2012), URL: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/wiedereroeffnung-des-mousonturms-in-frankfurt-a-853799.html (09.02.21). Zum Auftakt der Spielzeit inszenierte damals das britisch-deutsche Performance-Kollektiv Gob Squad das Stück Before Your Very Eyes, in dem eine Gruppe Kinder und Jugendlicher im fast-forward Modus in ihre Zukunft als Erwachsene blicken. Dort durch Kostüme und Maskierungen optisch angelangt, halten die jungen DarstellerInnen nostalgisch inne, um aus der Sicht ihres zukünftigen Ichs auf die verpasste Vergangenheit zurückzuschauen. In der Inszenierung einer Perspektive auf die Zukunft und dem Spiel mit möglichen futuristischen Entwicklungen wurden dabei Regie-Anweisungen durch LED-Schrift-Anzeigen für die Zuschauenden sichtbar gemacht.

[4] Niels Ewerbeck im Gespräch mit Jutta Failing (2012), URL: (https://www.top-magazin-frankfurt.de/redaktion/panorama/niels-ewerbeck-the-future-will-be-confusing/ (09.02.21).

[5] Vgl. für eine ausführliche Erfassung von Naumans und Kosuths Arbeiten (sowie von anderen Lichtkünstlern, die mit Sprache in ihren Werken arbeiten) die Publikation von Domesle 1998 [wie Anm. 2].

[6] Vgl. Kemp, Wolfgang (Hrsg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Berlin 1992 sowie Iser, Wolfgang: Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett, München 1972.

[7] Wihstutz, Benjamin: Zeuge des Unsichtbaren. Tim Etchells’ Theater der Einbildung, in: Koch, Gertrud (Hrsg.): Imaginäre Medialität, immaterielle Medien, München [u.a.] 2012, S. 203–216, hier: S. 203.

[8] Und ergibt sich eben nicht durch ein flüchtiges Erscheinen, einer Spurhaftigkeit der Schrift, das vor allem Peggy Phelan mit dem Konzept von Performativität verknüpft. Vgl. Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2004 sowie Phelan, Peggy (Hrsg.): The ends of performance, New York 1998.

[9] Die Wortdefinition am Ende des Textes stammt aus: Duden (2020): „Zukunft“, URL: https://www.duden.de/node/211632/revision/211668 (09.02.21).

 

Cerith Wyn Evans

„Arr/Dep“ (imaginary landscape for birds), 2006

© beide Abbildungen: Cerith Wyn Evans, Fotos: Norbert Miguletz, courtesy Lufthansa AG

Neon, Metallarbeit und Elektrik

Lufthansa Aviation Center

Airportring / Flughafen

S Frankfurt Flughafen Fernbahnhof

Menschen sind ständig in Bewegung, sei es zu Fuß, mit dem PKW, der Bahn oder im Flugzeug. Doch unabhängig vom Verkehrsmittel hinterlassen alle Spuren – Fuß- oder Reifenspuren, sozusagen „Bewegungslinien“. Die Fortbewegung mit den Verkehrsmitteln erfordert befestigte Wege, Straßen oder Schienen oder eben Flugrouten. Flugzeuge schweben scheinbar schwerelos am Himmel und hinterlassen dabei maximal einen Kondensstreifen, dessen allmähliches Verschwinden zu beobachten ist. Nach kurzer Zeit gibt es keine Hinweise mehr darauf, dass ein Flugzeug vorüberflog. Auf die unsichtbare Gegenwart der Flugrouten nimmt die Lichtinstallation von Cerith Wyn Evans im Lufthansa Aviation Center Bezug.

Frühes Green Building

Das Lufthansa Aviation Center vereint seit der Fertigstellung 2006 die Büroräume der Lufthansa-Zentrale in Frankfurt am Main an einem Standort. Das Gebäude befindet sich zwischen dem Frankfurter Airport-Ring und der A3, die das Flughafengelände nord-westlich begrenzt. Begonnen wurde das Neubauprojekt, das in unmittelbarer Nähe zum Flughafen konkrete Vorgaben mitbringt, 1999: Aufgrund der Flugsicherung ist die maximale Bauhöhe beschränkt und die Lage zwischen Autobahn, Airport-Ring, ICE-Schnellbahnstrecke und Großflughafen fordern eine effektive Lärmdämmung. Die architektonische Antwort ist ein verhältnismäßig flaches, lediglich fünf- bis sechsgeschossiges Gebäude, das in seiner Formgebung an die bogenartigen Strukturen eines Paragliders erinnert. Die gläserne Fassade ist eine Hülle, die den gesamten Komplex umschließt, um den Umgebungslärm abzuschirmen. Innerhalb dieser gläsernen Hülle entsteht eine kammerartige Struktur. Diese Kammern sind im Wechsel als Büroräume und als begrünte Atrien gestaltet. Das trägt dazu bei, dass die gesamte energetische Ausstattung des Gebäudes höchsten ökologischen Ansprüchen genügt. Mit seinen begrünten Atrien darf sich das Lufthansa Aviation Center als eines der ersten Gebäude in Deutschland offiziell als „Green Building“ bezeichnen. Die Wintergärten unterstützen als natürliche Lunge die Klimatisierung und Wärmedämmung des Gebäudes. Jedes Büro ist zu einem der Gärten innerhalb der gläsernen Hülle ausgerichtet und wird über diesen Grünbereich be- und entlüftet. Die Büroraumfenster können individuell geöffnet werden, ohne dass der Umgebungslärm zu Beeinträchtigungen führt. Im Jahresmittel stellen sich innerhalb des Glasgebäudes Temperaturen eines gemäßigten Mittelmeerklimas ein. „Wir haben Pflanzen aus ähnlichen Klimazonen rund um die Welt ausgesucht: Es gibt zum Beispiel einen kalifornischen, südafrikanischen, australischen, einen japanischen und einen Bambusgarten“, so der Architekt des Baus, Christoph Ingenhoven, in einem Interview.[1]  Gleichzeitig referenziert die Pflanzenwelt auf die Internationalität der Unternehmensgruppe.

Auseinandersetzung mit Kunst und Unternehmenskultur

Neben den ökologischen Aspekten hat sich die Lufthansa Group beim Bau ihres Aviation Center in Frankfurt eingehend mit Fragen der Beziehung von Unternehmenskultur und Kunst auseinandergesetzt. Bereits während einer frühen Phase der Planung entwickelten Christoph lngenhoven sowie die Kuratoren Max Hollein und Nicolaus Schafhausen gemeinsam ein Konzept, um das innovative Gebäude zu einem Ort der Kunst zu machen.  Der Architekt selbst äußerte zum Kunstkonzept in einem Interview: „Die Kunst im Lufthansa-Gebäude dient nicht der Ausstattung, es ist keine repräsentative Kunst. Das Haus repräsentiert ebenfalls nicht, indem es Distanz schafft und Respekt einfordert. Die Kunst ist subtil und arbeitet mit dem Gebäude.“[2] Besonders in der Verbindung aus Kunst und Wintergärten bilden die parzellierten Atrien Ruheoasen und Freiräume im Kontrast zum umliegenden Verkehr. Es ist ein Gebäude entstanden, das die Kommunikation der Nutzenden fördert – untereinander und im Austausch mit der Umgebung. Teil des Konzeptes ist die Auswahl von sieben Künstlern, die die Möglichkeit bekamen für das Gebäude ortsspezifische Arbeiten zu schaffen. Die Lichtinstallation von Cerith Wyn Evans ist eine in diesem Kontext konzipierte Arbeit. Sie wurde 2006 bei Fertigstellung des Lufthansa Aviation Center installiert. Es handelt sich um eine riesige, dreidimensionale „Neonzeichnung“, die in einer der bepflanzten Atrien hängt – einem Raum, der wegen seiner Rundumverglasung transparent wirkt ist. Der Neonzeichnung im Lufthansa Aviation Center liegen Recherchen zugrunde, die der Künstler zusammen mit seinen Ateliermitarbeitenden Juliette Blightman und Adrian Hermandias durchgeführt hat. Die Installierung innerhalb des gläsernen Raums stellte technische, aber offensichtlich zu bewältigende Herausforderungen an das Tragewerk. So ist ein Lichtgebilde aus Neonleuchtröhren entstanden, das in sich verdreht, scheinbar schwerelos über den Bäumen und Palmen des Wintergartens „Venice Beach“ schwebt.

Dreidimensionale Lichtzeichnung

Hermandias war vor Ort mit der praktischen Umsetzung, der Installation des „bombastic chandelier“, betraut. [3] Der „Kronleuchter“ besteht aus vielen, in unterschiedlicher Krümmung geformten Leuchtstoffröhren, die sich in- und übereinander winden. Alle zusammen bilden sie einen großen Leuchtball mit einem Durchmesser von schätzungsweise drei Metern. Diese Dimension erscheint gemessen an der Größe des begrünten Atriums als wohlproportioniert. Zwei oder mehr Enden der Leuchtstoffröhren sind jeweils in einem Punkt durch kleine, metallene Ringe miteinander verbunden. Da sich die einzelnen Röhren weder in Krümmung noch in Länge gleichen, bilden sie in ihrer Gesamtheit keinen Rhythmus, sondern eine dreidimensionale Lichtzeichnung. Obwohl die Leuchtstreifen statisch sind, erinnern sie an bewegte Striche, wie sie zum Beispiel mit einer Wunderkerze in den Nachthimmel gemalt werden können und nur für einen kurzen Moment wahrnehmbar sind. Bei Evans Arbeit im Aviation Center hingegen erscheint das Licht in einem stets gleichbleibenden hellen, weißen Ton, das abhängig vom Außenlicht leuchtet. Die Skulptur ist mit unzähligen Drähten an einer Deckenkonstruktion aus Metallringen befestigt, die mittels einer Seilwinde ermöglicht, die Skulptur bei Bedarf – etwa zum Wechsel der Leuchtstoffröhren – herab zu lassen. Das Werk selbst ist sowohl vom Wintergarten als auch den angrenzenden Büroräumen aus zu sehen; ebenso von außen durch Glasfassade hindurch von benachbarten Gebäuden und der Autobahn, gleichermaßen von oben aus der Luft. Die Neonlinien „treten […] dann am deutlichsten in Erscheinung, wenn die Intensität des Außenlichts abnimmt und das hektische Treiben im Inneren des Gebäudes nachlässt, das der Arbeitsalltag zu Ende geht.“[4] Die Lichtinstallation von Cerith Wyn Evans ist nur ein Teil der Kunstausstattung der Lufthansa-Zentrale. Von außen sichtbar stellt sie ein Verbindungselement zwischen Innerem und Äußeren dar. Gleichzeitig symbolisieren die ballartig konzentrierten Leuchtstreifen die Flugverbindungen der Lufthansa und stellen somit das Kerngeschäft des Konzerns in gelungener Weise dar.

Bewegung in Raum und Zeit

Die ineinander verschränkten, gebogenen Neonröhren der Skulptur lassen an Flugrouten, die Beziehungen zwischen Städten aufzeigen, denken. Die als Flugrouten vorzustellenden Leuchtröhren umschreiben die Form eines Globus. Stellen, an denen Leuchtröhren miteinander verbunden sind und es dadurch zur Konzentration von Leuchtbahnen kommt, lassen sich als Städte und damit Abflugs- und Ankunftsorte definieren. Der Titel von Evans Arbeit „Arr/Dep“, eineAbkürzung von Arrival (Ankunft) und Departure (Abflug), unterstreicht diesen Gedanken. Gleichzeitig taucht durch den Zusatz imaginary landscape for birds auch die Assoziation zu Flugrouten von Zugvögeln auf, nicht zuletzt auch in Referenz an den Kranich, den Wappen-Vogel und Logo der Lufthansa, „deren 2.000 bis 6.000 Kilometer lange Wanderungen zwischen den Brutplätzen und Winterquartieren auf fest fixierten Zugrouten ablaufen.“[5] Die Bewegungslinien rekurrieren auf das Bedürfnis, von einem Ort zu einem anderen zu gelangen. Für dieses Bedürfnis gibt es Zeugnisse, unter anderem der Versuch, die Welt kartografisch zu erfassen und so Handel und Reisen zu ermöglichen. Städte werden als Ziel- und Ankunftsort definiert und sind kartografisch fixiert. Unsere Bewegungen hingegen nicht. Evans macht sichtbar, was unsichtbar ist, indem er sich an der Koordinierungshilfe Loxodrome[6] orientiert, und kreiert ein Werk „realer Virtualität“[7].

Die Idee der Bewegungsspuren als Raumzeichnung, in der der Künstler Bewegung protokolliert und gleichsam sichtbar macht, ist ein wiederholt auftauchender Aspekt in Evans Werk und ebenfalls die Grundlage einer 2017 für die Eingangshalle des Museums Haus Konstruktiv in Zürich konzipierten Arbeit.[8] Inspirationsquelle für diese Leuchtstoffröhren-Installation ist das traditionelle japanische Nō-Theater, bei dem „die einzelnen Handlungen […]festgeschrieben sind.“[9] Diesem Theater liegt eine Jahrhunderte alte Überlieferung zugrunde, ein gezeichnetes Skript, in dem die vier Dimensionen berücksichtigt werden: „Wir haben nicht nur die Höhe einer Bewegung, die Breite einer Bewegung und die Tiefe, sondern wir haben auch die zeitliche Dimension dieser Bewegung.“[10] Einzelne Bewegungen, wie das Schwingen eines Kimono-Ärmels, lassen sich in einzelnen Elementen der Neon-Zeichnung, zum Beispiel eine groß geschwungene Neon-Röhre, wiederfinden.[11]

Auch in anderen Lichtarbeiten taucht die Inszenierung von „Erfahrungen realer Virtualitäten“[12] wieder auf. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Installation Look at this picture… How does it appear to you now? Does it seem persisting? von 2003. Sie besteht aus fünf prunkvollen Kronleuchtern, die jeweils an einen Computer angeschlossen sind. Jeder der fünf Computer übersetzt einen von fünf ausgewählten Texten in Morsecode und lässt in diesem Rhythmus die Glühbirnen des angebundenen Kronleuchters aufleuchten. Sämtliche Texte stehen für eine bestimmte politische oder gesellschaftliche Bewegung.

Cerith Wyn Evans wurde 1958 in Llanelli/Wales geboren, er lebt und arbeitet in London. Er ist Konzeptkünstler und durch sein gesamtes Œuvres zieht sich der Bezug auf Theater, Literatur und Musik.

Jessica Girschick

 

[1] Müller, Vanessa Joan: Interview. Christoph Ingenhoven, in: Hollein, Max und Nicolaus Schaffhausen: Kunst/Art. Lufthansa Aviation Center, S. 155-160, S. 159.

[2] Ebd., S. 160

[3] Deutsche Lufthansa AG: Kunst im Lufthansa Aviation Center Frankfurt am Main. Kunst sucht den Dialog mit Mitarbeitern und Besuchern, DVD, Juni 2010, Min. 16:00 ff.

[4] Le Fleuve, Lisa: Vier Vermeidungsstrategien. Beschreiben, Schauen, Wiederholen und Starren, in: Hollein, Max und Nicolaus Schaffhausen: Kunst/Art. Lufthansa Aviaton Center, S. 131-138, S. 132.

[5] Mewes, Wolfgang: Kraniche. Mythen, Forschung, Fakten, Karlsruhe 1999, S. 51.

[6] Eine Loxodrome (gr. loxos „schief“, dromos „Lauf“) ist eine Kurve auf einer Kugeloberfläche – z. B. der Erdoberfläche –, die die Meridiane im geographischen Koordinatensystem immer unter dem gleichen Winkel schneidet und daher auch Kursgleiche, Winkelgleiche oder Kurve konstanten Kurses genannt wird.

[7] Verwoert, Jan: Nachts sprechen sie miteinander im Radio, in: Buchholz, Daniel, Christopher Müller und Nicolaus Schaffenhausen: Cerith Wyn Evans, Berlin 2004, S. 63-78, S. 77.

[8] Schaschl, Sabine: Cerith Wyn Evans, in: https://www.hauskonstruktiv.ch/deCH/ausstellungen/ausstellungsarchiv/2019-2016/-/events/archiv-2017/2017/cerith-wyn-evans.htm?rl=3, zuletzt aufgerufen am 6.4.2021.

[9] Schaschl, Sabine: Cerith Wyn Evans. Museum Haus Konstruktiv Zürich, in: https://www.youtube.com/watch?v=KxsbWWGaxhU

, Min. 0:47-0:59.

[10] Schaschl, Sabine: Cerith Wyn Evans. Museum Haus Konstruktiv Zürich, in: https://www.youtube.com/watch?v=KxsbWWGaxhU, Min. 1:03-1:17.

[11] Schaschl, Sabine: Cerith Wyn Evans. Museum Haus Konstruktiv Zürich, in: https://www.youtube.com/watch?v=KxsbWWGaxhU, Min. 1:37-1:43.

[12] Verwoert, Jan: Nachts sprechen sie miteinander im Radio, in: Buchholz, Daniel, Christopher Müller und Nicolaus Schaffenhausen: Cerith Wyn Evans, Berlin 2004, S. 63-78, S. 77.

Christian Herdeg

Synergie, 1997

© Christian Herdeg / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: A.N. Simmen

Stahlkonstruktion mit Argonlichtröhren, Ø 14 m

Platz der Einheit / Gallus

U, Tram Festhalle / Messe

Besonders auffällig tritt die Lichtkunstarbeit von Christian Herdeg unweit des Messegeländes mit Anbruch der Dämmerung in Erscheinung. Der Titel „Synergie“ erweist sich in mehrfacher Hinsicht als aussagekräftig, steht er doch in unmittelbarem Bezug zur Arbeit wie auch ihrem Umfeld. Synergie besteht aus zwei monumentalen, aus Argonlichtröhren geformten Ringen, die in leichter Schrägstellung sich einander zuneigen und sich dadurch im Zenit fast zu berühren scheinen. Solchermaßen aufeinander bezogen, unterscheiden sich die beiden Ringe zwar durch ihre Farbigkeit, nämlich blau und rot, treten aber gerade durch den Komplementärkontrast wieder aufeinander zu.

Verbindendes für zwei Gebäude

Neben den formalen Eigenschaften des Werkes besteht ein weiterer quasi synergetischer Bezug zum näheren Umfeld, befindet sich doch die Lichtskulptur von Herdeg zwischen den beiden Hochhäusern Kastor und Pollux, deren Fertigstellung 1997 mit der von Synergie zusammenfällt. Und auch der Ankauf des Werkes wurde durch die Investoren der Gebäude realisiert. Sie sind weiterhin für die Wartung und Instandhaltung der Arbeit verantwortlich. Gleichzeitig wertet Herdegs Arbeit als markante Inszenierung aber auch die Gebäude auf. Das Lichtkunstwerk assoziiert zwei Eheringe und fungiert in dieser Hinsicht wie ein Symbol der Vereinigung der beiden Gebäude. Zusätzlich signalisiert Synergie gegenseitiges Fördern und Zusammenhalten.

Die Gebäude Kastor und Pollux rahmen den Platz und schirmen ihn und damit auch das Lichtkunstwerk gegen das städtische Umfeld ab. Synergie wird weiterhin von einem asymmetrisch angelegten Brunnen flankiert. Dieses Setting setzt in Verbindung mit dem fluoreszierenden Licht die atmosphärische Stimmung der Leuchtringe in Szene und lädt zum Verweilen ein. Das Licht der Leuchtstoffröhren fluoresziert, ohne zu blenden und visualisiert zugleich die fließende Energie. Die sprudelnden Wasserfontänen nehmen das farbige Licht auf und reflektieren es.

Zwischen dem fließenden Wasser und dem fließenden Strom, der selbst nicht sichtbar ist, aber das Gas in den Leuchtstoffröhren zum Leuchten bringt, lässt sich eine Parallele ziehen. Eine weitere Parallele stellt sich durch die Spiegelung von Synergie in den Glasfassaden der Türme ein. Diese Reflexionen lassen das Umfeld für das Werk bedeutsam werden.

Eine wiederholte und vor allem detaillierte Betrachtung von Synergie ist anzuraten, ergeben sich doch daraus neue Sichtweisen. Das Werk spielt mit der Nah- und Fernwirkung und den sich dabei verändernden Perspektiven. Durch das Verändern der Perspektive sowie der Distanz zum Objekt können beispielsweise optische Verzerrungen und Überlagerungen der konstant leuchtenden Linien entstehen. Besonders die gewaltige Dimension der Plastik von sage und schreibe 14 Metern Durchmesser wird erst aus der Nähe voll bewusst. Ebenso ist erst aus geringerer Entfernung zu erkennen, dass es sich um einzelne Röhrenelemente handelt, die nur aus der Ferne den Anschein eines ununterbrochenen Ringes erwecken. Pro Abschnitt befinden sich vier Leuchtmittel innerhalb einer Plastikröhre. Durch regelmäßig quer in der Plastikröhre eingelassene, durchsichtige Kunststoffplatten mit je vier Durchbohrungen wurden jeweils vier Argonlichtröhren geführt. Die Platten fungieren als Halterung und Abstandhalter der Leuchtmittel und markieren, legt man die Vorstellung einer Uhr zugrunde, die Ziffern 3, 6, 9 und 12. Die Leuchtstoffröhren inklusive Kabel sind bei diesem Werk gewollt sichtbar gehalten. Die Sichtbarkeit der technischen Komponenten teilt Herdeg mit anderen Künstlern wie Dan Flavin oder Mischa Kuball.

Aggregatzustände

Das Grundgerüst eines Ringes besteht aus drei runden Stahlschienen, die mit zickzackförmigen Querverbindungen und Schellen die die Leuchtmittel führenden Röhren fixieren. Diese Art der Stahlkonstruktion erinnert an Vorgehen wie sie beispielsweise bei der Errichtung von Achterbahnen eine Rolle spielen. Die massiven, jedoch dynamisch konstruierten Stahlgerüste und die immateriell erscheinenden, gasförmigen Lichtringe – das Feste und das Ephemere – treten zueinander in Spannung. Dieses Spiel der „Aggregatzustände“, von denen Herdeg in diesem Zusammenhang spricht und das wiederholt bei seinen Werken von Relevanz ist, wird verstärkt, indem er bei Synergie Substanzen wie Leuchtgas auch gegen das umgebende Wasser ausspielt. Des Weiteren kommt hinzu, dass die Stahlkonstruktion von Synergie eine begrenzte Fläche umreißt, das Licht hingegen die Grenzen überwindet und gleichzeitig geometrische Formen in die Nacht zeichnet. Man möchte meinen, dass erst das Licht bei Dunkelheit die Aufmerksamkeit auf Synergie lenkt, während das Werk tagsüber weniger auffällt, obwohl die Stahlkonstruktion durchaus prägnant ist.

Christian Herdeg, der als Beleuchter, Fotograf und Kameramann reichlich Erfahrungen mit Licht mitbringt, widmet sich seit den 1970er Jahren Arbeiten mit Leuchtstoffröhren. Bei der Entwicklung diverser Lichtfarben, die wesentlich durch die Anteile unterschiedlicher Gase zustande kommen, arbeitet er mit den Leuchtstoffwerken Heidelberg zusammen.

Prägnante Aspekte bei Herdegs Werken sind Klarheit und Reduktion. Die Wirkung liegt ganz bei den Materialien, ohne auf narrative Bezüge zu zielen. Zieht man weitere skulpturale Werke von Herdeg in Betracht, fällt auf, dass sich der Künstler gleichermaßen an der Pop Art wie auch an der Minimal Art orientiert. Seine Werke lassen sich stilistisch mit denen von Vardea M. Chryssa, Bruce Naumann oder Richard Serra vergleichen. Von diesen habe sich Herdeg eigener Aussagen zufolge inspirieren lassen.

 

Janna Feist

 

Weitere skulpturale Lichtkunstwerke:

Via Lewandowsky, Grazien, 2020, Knorr-Quartier, Knorrstraße / Gallus

Olga Schulz, Grüne Soße Denkmal, 2007, Kochstraße Ecke Speckgasse / Oberrad

Helmut Jahn / Matteo Thun

Lichtkonzept Messeturm, 2021

© beide Abbildungen: OFFICEFIRST Real Estate GmbH

Messeturm

Friedrich-Ebert-Anlage 49 / Westend

U, Tram Festhalle / Messe

Seit seiner Errichtung 1990 gehört der Messeturm zu den ikonischen Wahrzeichen Frankfurts. Das 257 Meter hohe Gebäude wurde von Helmut Jahn (1940 – 2021) entworfen. Anfänglich von Ludwig Mies van der Rohes strenger und sachlicher Bauhaus-Architektur beeinflusst, fand Jahn bald zu einem eigenen, detailreich-dekorativen High-Tech-Stil. In der Formensprache seiner Bauten finden sich oftmals Stilzitate des Art Déco, so etwa bei dem Xerox-Center in Chicago oder eben dem Messeturm, wo sie sich vor allem in dem sich zur Spitze hin getreppten oberen Bereich des Turmschaftes zeigen. Die Gesamtform des Turmes ist aus achsensymmetrisch angeordneten Körpern – Würfel, Quader, Zylinder, Pyramide – zusammengesetzt. Im Gegensatz zu anderen seiner Bauten, die von einer Glashülle umschlossen sind, hat sich Jahn in Frankfurt für eine Steinfassade aus poliertem rotem Granit entschieden. Diese erschien jedoch nach dreißig Jahren vor allem im Sockelgeschoss mit dem Eingangsbereich nicht mehr zeitgemäß.

Umbau 2021

2021 bekam der Turm innen und außen ein Facelift, für das Helmut Jahn gemeinsam mit dem Mailänder Architekten und Designer Matteo Thun verantwortlich zeichnet. Licht als Gestaltungselement spielt dabei eine wichtige Rolle und orientiert sich im Wesentlichen an den architektonischen Vorgaben des Baus. Eine über die Betonung der vorhandenen Architekturelemente hinausweisende Bedeutungsebene des Lichts ist nicht beabsichtigt. So wurden etwa die Brüstungen jedes zweiten der dreieckige Erker, die an allen vier Seiten des Turmschaftes aus der Fassade hervortreten, mit LED-Röhren akzentuiert. Hierdurch wird das Nachtbild der Architektur sinnvoll ergänzt: die Symmetrie des Gebäudes und seine Längsachse werden nun stärker betont; die charakteristisch dreigeteilte, an den Kanten beleuchtete Pyramidenspitze, an deren Ecken die zu Lisenen ausgebildeten Erker enden, erscheint gestützt und „geerdet“.

Im Sockelbereich sorgt zunächst einmal die neue Glasfassade für ein verändertes Gesicht. Waren die gewölbten Glasbereiche vor dem Umbau eher zurückhaltend und von dem Würfel des Turmsockels rahmend eingefangen, so sind sie nun als deutlich sichtbare Elemente mit riesigen Glasscheiben ein ganzes Stück weiter nach außen gerückt und durchbrechen die Kubatur des würfelförmigen Sockels. Dadurch wird zum einen die im Erdgeschoß nutzbare Fläche um rund 700 Quadratmeter vergrößert, zum anderen fällt mehr Tageslicht in das Geschoss hinein. Beides kommt der Atmosphäre und Aufenthaltsqualität des Foyers zugute, das nun elegante Lounge-Sitzinseln und eine täglich von 7:30 Uhr bis mindestens 19:00 Uhr geöffnete Cafébar mit Außenbereich beheimatet.

Das tags und nachts auffälligste Element ist jedoch der runde, 15 Meter hohe Gebäudekern, der zu einer Lichtwand – oder besser: Lichtsäule – umgestaltet wurde. Seine gesamte Außenfläche von circa 1.100 qm ist mit LED-Panels verkleidet, vor denen satinierte Glasscheiben sitzen. Die Panels sind mit weißen LEDs bestückt, die ihre Farbtemperatur im Tagesverlauf von 4000 auf 2700 K verändern – mithin also von einem eher kälterem zu einem abendlichen warmen und daher üblicherweise als „gemütlich“ empfundenen Weißton wechseln.

Lichtsäule im Inneren

Bei seinem Entwurf für die Lichtsäule hat sich Matteo Thun laut Gebäudebetreiber von der Idee der Laterna magica inspirieren lassen. Der Brückenschlag zu einer „Zauberlaterne“ lässt sich sicher nur im übertragenden Sinne verstehen, stellt sich doch vor allem aus der Fernsicht die Assoziation ein, den Turmsockel als eine große Laterne zu sehen, die aus ihrem Inneren nach außen strahlt. Die Referenz an den historischen Begriff „Laterna magica“ jedoch führt den Betrachter auf eine falsche, aber im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der Lichtgestaltung in Frankfurt durchaus interessante Fährte. Als Laterna magica bezeichnet man üblicherweise einen historischen Projektionsapparat, der, vergleichbar mit einem Diaprojektor, Bilder, Fotos oder auch nur Farben und Ornamente auf eine (Lein)Wand werfen konnte. Im 17. Jahrhundert entwickelt, wurde sie im Laufe des 19. Jahrhundert zu einem weit verbreiteten Gerät, das bei Bühnenvorführungen und Vorträgen eingesetzt wurde. Mittels der Möglichkeit, die Bildvorlagen zu wechseln, entstanden narrative Abfolgen, durch die sich Geschichten erzählen ließen. Die Laterna Magica wurde damit zum Vorläufer der Filmprojektion.

Wechselnde Bildmotive oder Farbspiele gibt es bei der Lichtsäule im Messeturm keine. Dies würde zum einen der für das Foyer intendierten Atmosphäre zuwiderlaufen und wäre auch angesichts der Größe der LED-Fläche – vorsichtig ausgedrückt – visuell überfordernd. Zum anderen würde es auch den Vorgaben der Stadt Frankfurt zuwiderlaufen.

Strenge Vorgaben der Stadt bei Lichtgestaltung

Die Stadt hat nicht nur Gestaltungsrichtlinien für die Beleuchtung der neuen und alten Altstadt aufgelegt, sondern besitzt auch einen „Masterplan Licht für das Bankenviertel“, der einen Katalog mit allgemeine Gestaltungskriterien zur Beleuchtung von Gebäuden und des öffentlichen Raumes beinhaltet[1]. Er dient dem Ziel, den Stadtraum unter Einsatz möglichst geringer Mittel mit Licht zu definieren und Lichtverschmutzung zu vermeiden. Anwendung findet er, wenn die Gebäude von außen illuminiert werden oder eine von innen nach außen strahlende Beleuchtung den öffentlichen Raum gestalterisch beeinflusst. Laut Katalog sind bei der Lichtgestaltung von Hochhäusern bewegtes Licht oder Werbung mit wechselnden Lichtfarben auszuschließen. Mehrfarbigkeit und bewegtes Licht wiederum sind nur bei Lichtkunst zulässig, die allerdings den „wichtigsten kulturellen öffentlichen Gebäuden vorbehalten“[2] sein soll. Gleichzeitig wird gewünscht, dass durch die Beleuchtung „die vertikale Dimension und Ausdehnung der Hochhäuser im Stadtraum kenntlich“[3] gemacht und ihre „räumlich-materielle Dimension“ unterstrichen wird. Im Sockelbereich wird von den Hochhäusern ein „eigener Beitrag zum städtischen Nachtbild“[4] erwartet. Hierbei sind wiederum Vorgaben hinsichtlich Leuchtintensität, Reflexionsverhalten, Lichtfarbe und Farbwiedergabequalität zu beachten. So wird insgesamt ein eher schmaler Pfad definiert, auf dem sich die Eigentümer und Nutzer bewegen sollen. Insgesamt betrachtet, sind diese Forderungen durch das Re-Designs des Messeturms erfüllt: Durch die Akzentbeleuchtung wird die vertikale Dimension des Baus auch in der Nacht deutlich, die Lichtgestaltung des Sockelbereiches durch die Zauberlaterne ist zweifelsohne ein eigener Beitrag zum städtischen Nachtbild. 

Heike Sütter / Viola Hildebrand-Schat

 

[1] Siehe https://www.stadtplanungsamt-frankfurt.de/beleuchtungskonzept_bankenviertel_4809.html sowie den dort angegebenen Katalog zum Download: https://www.stadtplanungsamt-frankfurt.de/show.php?ID=4888&psid=rj1sl1vruijtk3tomi15o3a346

[2] Vgl. Stadt Frankfurt, Katalog der Gestaltungskriterien 2012, S. 97:  https://www.stadtplanungsamt-frankfurt.de/show.php?ID=4888&psid=rj1sl1vruijtk3tomi15o3a346, abgerufen 10.01.2022.

[3] Ebenda, S. 94 und 95.

[4] Ebenda, S. 95

 

Magdalena Jetelová

Fluchtgeschwindigkeit (nach Paul Virilio), 2003

© beide Abbildungen: Magdalena Jetelová

Gallileo

Gallusanlage 7 / Innenstadt

U, Tram Willy-Brandt-Platz

nicht mehr in Betrieb 

Fluchtgeschwindigkeit (nach Paul Virilio) stammt von Magdalena Jetelová und wurde 2003 fertiggestellt. Die sich über eine sechsstöckigen Treppen- und Stegkonstruktion erstreckende Arbeit befindet sich im Foyer des Gallileo-Tower.

Magdalena Jetelová wurde 1946 in der Tschechoslowakei geboren; sie lebt und arbeitet in München, Düsseldorf und Prag. Sie gehört zu den international anerkanntesten KünstlerInnen der Gegenwart. Ihre Werke waren unter anderem auf der documenta und im Museum of Modern Art in New York ausgestellt. Ihr Themengebiet umfasst skulpturale Arbeiten, ferner Holzskulpturen, die sie aus alltäglichen Gegenständen baut. Zudem befasst sie sich seit rund 30 Jahren mit Lichtkunst und Laserprojektionen.

Interaktive Lichttreppe für die Mitarbeiter

Fluchtgeschwindigkeit (nach Paul Virilio) ist eine ortsspezifische Installation, die aus zwei Teilen besteht. Zum einen hat die Künstlerin die Enden der Galeriegänge, die die einzelnen Etagen erschließen, durch skulptural gebogene Elemente ergänzt. Zum anderen verwandelte sie den breiten Treppenaufgang, der zum Betriebsrestaurant führt, in eine interaktive Lichtinstallation. Diese sollte die Mitarbeiter animieren, anstelle des Aufzugs die Treppe zu benutzen. Die Lichtinstallation ist außer Betrieb, die skulpturale Intervention an den Gang-Enden ist nach wie vor vorhanden.

Durch Jetelovás Arbeit wurde die sonst weitgehend symmetrische Ausgestaltung des Foyers verändert und spielerisch ergänzt. Bei ausgeschalteter Lichtinstallation ist die Farbgestaltung weitgehend durch den Boden aus Milchglas bestimmt, von dem grüner Schimmer ausgeht. Ansonsten erstrahlte die Treppen- und Stegkonstruktion in einem weißen Licht. Weiterhin ist anzumerken, dass die technischen Komponenten der Installation nicht sichtbar sind. Die Lichtquellen sind unter einer Milchglasverschalung verborgen, die das Licht sanft streute. Außerdem dienten die Unterseiten der Geschoßdecken als Reflektionsfläche für das Licht, sodass Installation und Architektur wechselseitige zueinander in Beziehung treten.

Als die Konstruktion noch in Betrieb war, lag der Akzent der Installation auf einer Interaktion zwischen Objekt und den BetrachterInnen bzw. BenutzerInnen. Sobald ein Fuß auf den Boden gesetzt wurde, erstrahlte die Fläche in einem weißen Licht, welches allerdings verschwand, sobald keine Interaktion mehr stattfand. Das Licht folgte den BenutzerInnen mit jedem Schritt und machte somit die Bewegung zu einem essenziellen Bestandteil des Kunstobjektes. Sie schlüpften damit bei diesem Lichtspiel in die Rolle der AkteurInnen und wurden zu LichtdirigentInnen, da die Sensoren nur durch Bewegung aktiviert werden konnten. Gleichzeitig nahm sich der / die RezipientIn durch die Lichtreaktion optisch wahr, womit zeitgleich ein Akt der Selbstreflektion entstand.

Paul Virilios Dromologie und Rasender Stillstand

Der Titel von Jetelovás Arbeit impliziert einen Zusammenhang mit der Theorie von Paul Virilio, einem französischen Philosophen, Architekten, Medientheoretiker und Stadtplaner. Sein Name verbindet sich mit dem Begriff der “Dromologie”, einer Untersuchung der Geschichte der Menschheit unter dem Gesichtspunkt der Beschleunigung.[1]

„Dromologie” wird als Theorie vom Wesen der Geschwindigkeit, ihres Ausgangspunktes, ihrer Veränderung und Auswirkung beschrieben. Der Raum wird nicht mehr durch seine statischen Rahmenbedingungen – wie etwa seine Größe – oder geographische Eigentschaften bestimmt, sondern durch die Geschwindigkeit, mit der er durchquert werden kann. Dabei stellt Virilio fest, dass die Entfremdung durch Geschwindigkeit einer „Entwirklichung“ gleichkommt. In seinem 1995 erschienenen Essay Fluchtgeschwindigkeit greift er die These auf und erläutert sie mit Blick auf die virtuellen Realitäten näher. Ebenfalls thematisiert er die technische Beschleunigung und beschreibt sie als eine Art Bedrohung der Menschheit. Denn Virilio sieht in der durch Technik möglich gewordenen Beschleunigung eine Flucht oder auch Wahrnehmungsverweigerung der menschlichen Realität, um sich stattdessen mit einer virtuellen Welt zu umgeben. Ebenso wird diese Thematik in seinem Essay Rasender Stillstand, 1997 erschienen, nochmals hervorgehoben. Er handelt von der technischen Entwicklung und wie diese unserer Gesellschaft zum Verhängnis werden kann. Virilio beschreibt den „Wahn, dank elektronischer Telekommunikation überall und jederzeit dabeizusein, die Verführung der simultanen Teilhabe an allem.“[2] Nach Virilio scheint die Gesellschaft durch die Hochtechnologisierung Raum und Zeit zu beherrschen, arbeitet aber genau damit an der Auslöschung ihrer selbst. Hiermit spricht Virilio einen hochaktuellen Aspekt an, geht doch die rasante Digitalisierung mit der Angst einher, dass in vielen Funktionsbereichen Menschen zunehmend ersetzbar werden.

Raum und Zeit

Von Virilios Theorie ausgehend lässt sich auch Jetelovás Arbeit beschreiben, denn auch ihre Arbeit veranschaulicht eine Auseinandersetzung mit einem Raum, der durch die Lichtinstallation verändert wird. Fluchtgeschwindigkeit scheint die sich verflüchtigende Zeit sichtbar zu machen und gleichzeitig auf den Raum zurückzuführen zu wollen. “Unterschiedliche Perspektiven korrespondieren mit der Imagination der Realität. So entsteht eine Situation, die neue Ebenen der Wahrnehmung öffnet.”[3]

Mit ihrer raumgreifenden Installation gelingt es Jetelová, einem großen Raum geradezu immaterielle Leichtigkeit zu verleihen und dem ephemeren Faktor Zeit Ausdruck zu verleihen. Durch die Idee der Geschwindigkeit ist beides miteinander verknüpft, denn Geschwindigkeit beschreibt nichts weiteres als das Durchschreiten des Raumes in der Zeit Dieser Gedanke wurde durch das Licht intensiviert, denn mit jedem Schritt durchdringt es den Raum und transformiert diesen gleichsam.

Auch wenn bei anderen Werken Jetelovás die Formsprache die gleiche bleibt, ist Fluchtgeschwindigkeit das einzige Werk, das interaktiv auf den Betrachter reagiert und dadurch raumgestaltend wirkt. Zwar ist Fluchtgeschwindigkeit nicht mehr in Betrieb, dennoch ist es immer noch ein sichtbares und prominentes Element im Gallileo Tower. Wo eine Lichtspur die Geschwindigkeit der Personen sichtbar machte, ist nunmehr nur noch das gläserne Konstrukt ohne interaktives Licht vorzufinden. Dennoch hat Jetelová mit den Glastreppen und -brücken ein ihre Prinzipien deutlich werden lassendes Werk geschaffen.

 

Nicole Fecher

 

[1] Vgl. Virilio, Paul: Geschwindigkeit und Poltitik. Ein Essay zur Dromologie, Berlin 1989.

[2] Vgl. Virilio, Paul: Rasender Stillstand, Frankfurt am Main 1997, Klappentext

[3] Ritter, Ulrike, in: Texte über Künstler, https://bildende-künstler.net/texte/magdalenajetelov1 (abgerufen 11.3.2021)

 

Johannes-Nandu Kriesche

Lichtfall 1, 2021

© beide Abbildungen: Johannes-Nandu Kriesche

LED-Tubes, Aluminium, farbiges Acrylglas, 4,60 x 1,60 m

Flughafenstraße 12 / Niederrad

S, Tram Stadion

 

An einer in den 1920 Jahren errichteten großbürgerlichen Villen am Rande von Niederrad findet sich an der Fassade entlang der Straßenseite eine Arbeit, die ihrem Wesen nach zwischen Skulptur, Zeichnung und Lichtkunstwerk changiert. Der wechselhafte Charakter der Arbeit bedingt sich durch den Blickwinkel wie auch den Zeitpunkt der Betrachtung. Dominiert bei Tageslicht der zu einer kunstvollen Ornamentik geschwungene Verlauf der lichtführenden Elemente, so entsteht bei Nacht der Eindruck eines fließenden Lichtes. Es geht von warmweiß strahlenden LEDs aus, die in einen flexiblen Träger förmlich eingeschmolzen den Konturen der festen Elemente folgt.

Mit Blick auf die Gegebenheiten hat der Künstler Johannes-Nandu Kriesche für die Fassadengestaltung einen Entwurf vorgelegt, der die Vertikale betont. In gleichermaßen aufragenden wie abfallenden Schwüngen erstreckt sich seine Installation über die Fläche, erhält aber zugleich mit farbigen Formelementen am unteren Ende ein in den Raum vorspringendes Gegengewicht. Die Kombination aus Linien und flächigen Formen bedingt wiederum den hybriden Charakter des Werkes.

Die Konzeption basiert auf Aluminiumschienen, die jedoch nicht völlig flach sind, sondern durch einen Winkel einen Abstand zum Untergrund bedingen. Zudem sind die einzelnen Formelemente mit Nieten verbunden, was trotz Fixierung minimale Beweglichkeit garantiert. So können die Aluminiumteile auch auf Erwärmung reagieren und sich ausdehnen, wenn Strom fließt. Zugleich bieten sie somit Raum für ein Kabel, das nicht nur der Stromversorgung dient, sondern selbst lichtführendes Element ist. Diese als Flextubes bezeichneten Schnüre sind aus einem speziellen Material gefertigt, in das kleine LEDs versenkt sind und das sich bei Erwärmung unbeschadet ausdehnen kann. Zugleich ist das Material äußerst biegsam, so dass es sich den Windungen und Biegungen der durch die Aluminiumschienen vorgegebenen Formen anpassen lässt. Die in das Kabel versenkten LEDs bedingen, dass das Licht – vor allem aus der Ferne – als fortlaufende Linie erscheint. Auf diese Weise wird die bereits mit den Aluminiumelementen vorgegebene Zeichnung auf das lichtführende Kabel übertragen, was im Endeffekt die den Lichtverhältnissen folgenden unterschiedlichen Ansichten bedingt.

Die Aluminiumschienen verdecken das Kabel soweit, dass es bei Tageslicht nicht zu sehen ist. Sichtbar wird lediglich das Licht der LEDs, sobald Strom fließt. So sehr auch das Werk bei Tage als dreidimensionale Fassadenzeichnung wirkt, erachtet Kriesche doch das Licht als zentrales Element. Vor Augen standen ihm bei der Konzeption Arbeiten wie die mit einer leuchten Taschenlampe von Picasso virtuos buchstäblich ins Nichts gezeichnete Friedenstaube und andere ähnliche Zeichnungen, die sich allein aus Licht formieren.

Die Flextubes entdeckte Kriesche beim Besuch der Light & Buildung, der einschlägigen Messe für Lichttechnik in Frankfurt. In seinem Schaffen ersetzen sie lichtemittierende Phosphorschnüre, wie er sie noch bei einer seiner frühen Arbeiten verwendete.

Assoziationsreiche Titelgebung

Aus der Bedeutung, die der Künstler der vom Licht vorgegebenen Zeichnung zumisst, erhellt sich auch der Titel des Werkes als Lichtfall. Lichtfall assoziiert Kriesche mit Einfall wie auch Wasserfall. In jeder Hinsicht bedingt die Kombination mit „Fall“ eine Bewegung, die sowohl dem Licht wie auch dem Wasser eigen ist. Die fließenden Eigenschaften wiederum schließen Vermischung und Durchdringung ein. Und eben diese greift Kriesche mit weiteren Formelementen auf, die den linearen Verlauf seiner Zeichnung förmlich aufstauen, zugleich aber eine weitere ästhetische Dimension verleihen.

Aus großen Plexiglasflächen hat Kriesche wolkenartige Gebilde geschnitten, mit einer licht- und luftfesten Farbe in verschiedenen Nuancen von Grün über Türkis und Blau eingefärbt und anschließend gegeneinander versetzt übereinander montiert. Aus der Überlagerung der zwar gefärbten, aber dennoch transparenten Elemente ergeben sich sowohl neue Farb- wie auch Formkonstellationen.

Die aus Plexiglas geschnittenen Formen tragen wesentlich dazu bei, die sich über die Fassade erstreckende Zeichnung in eine Installation zu überführen. Mit Blick auf die Farb- und Formelementen erscheint das Werk weniger flächenbezogen, sondern sich vielmehr wie ein Wolke vor und über die Fassade zu schieben. In dem Augenblick jedoch, in dem Licht durch das Werk zu strömen beginnt, verändert sich der Eindruck erneut. Das Volumen der farbigen Formen weicht und die Farben treten in einen Dialog mit der Fassade. Damit erzielt Kriesche jenes Moment der Überwältigung, den er beim Anblick eines Wasserfalls erlebt. Nicht zuletzt hat die Erfahrung der von den Naturerscheinungen ausgehenden Kraft auf den Titel der Arbeit inspiriert. Lichtfall soll nicht nur den Wasserfall assoziieren, sondern auch das von den Romantikern als Kategorie ihres Arbeitens wesentliche Erhabene aufrufen.

Erste permanente Lichtinstallation Kriesches

Lichtfall 1 gehört zu den jüngsten Arbeiten des in Frankfurt lebenden Künstler, ist aber aktuell die einzige permanent installierte Lichtkunstarbeit, denn obgleich Kriesche wiederholt mit Lichtkunst in Erscheinung getreten ist, handelte es sich bei lediglich um temporäre Installationen.

Den Arbeiten mit Licht waren solche vorangegangen, bei denen Kriesche Paraffin verarbeitete. Das wachsartige Material wiederum bedingte bereits eine eigenartige Wirkung von lichtabsorbierend wie auch lichtbrechend. Neben den Paraffinbildern sind weiterhin solche zu erwähnen, die gänzlich aus Glaskugeln zusammengefügt sind, im weitersten Sinne Mosaiken vergleichbar.

 

Viola Hildebrand-Schat

 

 

Peter Kulka Architektur

Lichtwand, 2015

© beide Abbildungen: Peter Kulka Architektur

Eurotheum, Foyer

Neue Mainzer Straße 66-68 / Innenstadt

U Alte Oper

zur Zeit nur von außen zu betrachten 

Die Lichtwand im Eurotheum ist das Ergebnis eines anlässlich der Neugestaltung des Gebäudes ausgeschriebenen Wettbewerbs. Den Auftrag für die Ausführung erhielt Peter Kulka, dessen Wettbewerbsentwurf mit dem ersten Preis ausgezeichnet und gemeinsam mit dem Leuchtenhersteller RIDI Leuchten GmbH umgesetzt wurde. Ein Kernpunkt der von Kulka vorgeschlagenen Neugestaltung betraf die Lobby, die einen fließenden Übergang zwischen den beiden Bauteilen herstellen sollte. Das geschah durch die Neugestaltung des Eingangsbereichs mit einem einladenden Glasportal, vor allem aber durch eine transluzide Wandverkleidung im gesamten Foyer- und Durchgangsbereich. Sie zieht sich über die ein- und zweigeschossigen Bereiche der beiden Bestandsbaukörper, um dann auf die volle Höhe des sich über sechs Geschosse erstreckenden Zwischenzone überzuspringen. Dabei folgt sie dem geschwundenen Wandverlauf tief ins Innere des Gebäudes hinein.

Unter den Glaspaneelen sind Leuchtkörper verbaut – Mid-Power-LEDs auf einer 5-kanaligen Leiterkarte, die neben Warmweiß (3000K) und Kaltweiß (6500K) die Grundfarben Rot, Grün und Blau aufweisen und selbst aber unsichtbar bleiben. Insgesamt sind es 43.120 LED-Chips, die im unteren Bereich der Glaspaneelen eingebaut sind. Sie strahlen mittels einer eigens für die Lichtwand entwickelten Sekundäroptik die hinter der Glaswand liegende weiße Rückwand an. Das Licht breitet sich gleichförmig über die ganze Fläche aus und erfüllt den Innenraum mit einer dem Tageslicht angepassten Farbtemperatur. Der/die NutzerIn kann Szenen und Abläufe individuell festlegen. Die Steuerung ließe sich auch vollautomatisieren, doch war im Falle des Eurotheums ausdrücklich ein manuelles Eingreifen durch die MitarbeiterInnen am Empfang gewünscht, so dass die entsprechenden Bedienfelder auch in der Empfangsloge installiert wurden.

Lichtwand als verbindendes Element

Erscheint die Wand so in ihrer Materialität wie ein schwereloses Lichtfeld, gibt sie auch nichts von der tragenden Baukonstruktion zu erkennen. Dabei ist sie sowohl optisch als auch konstruktiv das die beiden Bauteile verklammernde Element.

Solchermaßen optisch vollständig in den Raum integriert, erscheint Kulkas Lichtwand weniger als eigenständiges Kunstwerk, als vielmehr ein die Architektur erweiterndes Element. Selbst praktisch nicht durch eine architektonische Gliederung begrenzt, löst sie auch die Raumgrenzen auf und lässt die Lobby weit und licht erscheinen. Von der Enge, die zwischen den beiden Gebäudeteilen besteht und die tief in das Gebäudeensemble hineinführenden Durchgangszone wie eine Schlucht wirken lässt, ist praktisch nichts zu bemerken. Jegliche Anmutung von Enge werden von der lichtemittierenden Wand vollständig aufgefangen. Ein die Wirkung unterstreichendes Element ist deren quasi organischer Verlauf. An keiner Stelle springen scharfe Kanten oder Ecken hervor, gerade so, als habe der Klangkörper eines Streichinstrumentes als Vorbild für die Formung des Wandverlaufes gedient.

Veränderbare Lichtfarben

Die durch die Formgebung angestrebte Anpassung an natürliche Verhältnisse wird weiterhin durch das von der Wand emittierte Licht unterstützt, dass durch eine elektronische Steuerung dem sich verändernden Licht im Außenraum anpasst werden kann. Von den hinter der Wandverkleidung montierten LEDs geht zwar das für diese Art von Lichtquelle typische punktförmige Licht aus, doch wird es durch das milchige, transluzide Glas der Wandpaneelen so gestreut, dass die punktförmige Begrenzung verschwindet und sich die einzelnen Lichtquellen in einem gleichförmigen Leuchten verbinden. Durch eine durch die roten, grünen und blauen LEDs veränderbare Mischung kann die Lichtfarbe weitgehend den natürlichen Lichtverhältnissen angepasst werden und verändert sich im Tagesverlauf von einer warmen hin zu einer kälteren Farbtemperatur bei hereinbrechender Dämmerung. Eine derartige Lichtsteuerung verweist auf das Konzept des Human Centric Lighting (HCL), das sich nach dem biologischen Rhythmus, einer zirkadianen inneren Uhr des Menschen richtet. HCL basiert auf der Entdeckung eines neben Stäbchen- und Zapfenrezeptoren vorhandenen dritten Photorezeptor, der nun nicht wie die beiden anderen in der Netzhaut liegt, sondern in der Hypothalamus-Region des Gehirns. Sie reagieren über elektro-physiologische Signale auf das durch die Photorezeptoren-Zellen im Auge eingefangene Licht uns regulieren die Ausschüttung von Hormonen, die wie Dopamin, Cortisol, Serotonin oder Melatonin die Stimmung beeinflussen. Indem nun das von der Lichtwand im Eurotheum ausgehende Licht den dritten, weniger das Sehen als die Stimmung beeinflussenden Typ von Photorezeptor berücksichtigt, erzielt sie jene Atmosphäre des Wohlbefindens, die sich dem gesamten Raum mitteilt.

Auflösung von Materie durch Licht

Hohen und von ihren Materialeigenschaften her massiv erscheinende Bauten dennoch durch gezielte Lichtführung mit atmosphärischer Leichtigkeit zu füllen, hat Vorbilder in der Kunstgeschichte. Zu denken ist in erster Linie an die gotischen Glasfenster, durch die in die hohen und weiten Hallen der Kathedralen Licht fällt, zumeist gebrochen durch die Farben des Glases. Sie lassen den gesamten Bau diaphan erscheinen. Aufgegriffen wird die vom Lichteinfall bestimmte Transparenz von den Eisenkonstruktionen im 19. Jahrhundert, die einen weitgreifenden Einsatz von Glas beim Bau ermöglichten. Die hier deutlich werdende zunehmende Aufhebung lastender architektonischer Elemente findet ihre Fortführung in Bruno Tauts Glaspavillon, einem 1914 im Rahmen der Werkbundausstellung in Köln aus Glassteinen errichteten Kuppelbau. Aufgrund der lichtdurchlässigen Bausubstanz konnte das Licht von allen Seiten ins Innere eindringen und den Raum in ein gleichförmiges Licht hüllen, darin Kulkas Lobby mit der Lichtwand nicht unähnlich. Ein weiterer Bezug zeigt sich an der Orientierung an organischen Formen, verzichten doch beide Architekturen auf Ecken.

Die Rolle von Licht in Peter Kulkas Oeuvre

Licht als Klammer, um Heterogenes zu vereinen, zieht sich als eine der Leitlinien durch das Oeuvre von Kulka. Immer wieder mit der Modernisierung von historischen Bauten beauftragt, setzt er helle Verkleidungen kongenial zur Schaffung lichter Architektur ein, wie etwa im Plenarsaal des Landtags Brandenburg in Potsdam oder im HörSaal des Konzerthauses am Berliner Gendarmenmarkt an den oberhalb des Sichthorizontes integrierten Lichtschächten. Die Betonung von Lichtschächten und Lichtgaden bildet auch ein wesentliches Element beim Masterplan für die Sanierung und den Umbau des Senckenberg Museums mit angrenzendem Jügelhaus in Frankfurt. Wie auch im Eurotheum durch das Glas der Decke dringt durch die Lichtschächte natürliches Licht. Der natürliche Lichteinfall wird aufgegriffen und in die Tiefe weitergetragen durch Lichtelemente, die sich in ihrer Form dem durch die Architektur vorgegebenen Lichtrahmen vollständig einfügen, wie etwa ein rundumlaufende Lichtleiste unterhalb eines Deckendurchbruchs zur oberen Etage in der Säulenhalle des Jügelhauses.

Kulkas Ansatz, Raum und Licht zu einer Einheit verschmelzen zu lassen, gründen in einer fundierten Ausbildung und reichen Erfahrungen. Nach Maurerlehre und Ingenieursstudium studierte Kulka an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee und war nach seiner Flucht aus der DDR Mitarbeiter bei Hans Scharoun, bevor er sich 1969 selbständig machte und schließlich 1979 das Büro von Hans Schilling, von 1986 bis 1992 eine Professur an der RWTH Aachen übernahm. Seine Arbeiten sind Gegenstand zahlreicher Ausstellungen, unter anderem im Staatlichen Museum für Architektur – Schusev in Moskau oder in der Vertigo Fakulteit in Eindhoven. Zu seinen bekanntesten Ausführungen gehören der Sächsischen Landtag in Dresden, das „Haus der Stille“ der Abtei Königsmünster in Meschede, das Bosch Haus Heidehof in Stuttgart, die Neugestaltung des Kammermusiksaals und des Foyers im Konzerthaus Berlin. In Frankfurt am Main hat er die Sanierungs- und Umbaumaßnahmen des Senckenberg-Komplexes am Campus Bockenheim übernommen.

 

Viola Hildebrand-Schat

 

Weitere architekturbezogene Lichtinstallationen:

Christian Uitz, Illumination Friedberger Warte, 2018, Friedberger Landstraße 414 / Nordend

Lichtplan, Robin Uber, Bauhaus „goes“ Mondrian, 2016, Mainova AG, Umspannwerk Lübecker Str. / Eschersheimer Landstraße, Eschersheimer Landstraße 414 / Westend

Thomas Emde, Lichtinstallation, 1999, Commerzbank-Tower, Kaiserplatz / Innenstadt

Thomas Emde, Lichtinstallation, 2010, Kaiserdom St. Bartholomäus, Domplatz 1 / Altstadt

Via Lewandowsky

Grazien, 2020

© beide Abbildungen: Via Lewandowsky, Berlin

Kunst am Bau-Projekt Vonovia open art sculpture experience

Knorr-Quartier

Knorrstraße / Gallus

S, Tram Galluswarte

Die mit Grazien betitelte Installation des Berliner Künstlers Via Lewandowsky im Knorr-Quartier besteht aus drei ineinander geschlungene, an gewöhnliche Straßenlaternen erinnernde Peitschenlampen. Als „Peitschenlampe“ oder „Peitschenleuchten“ wird in der Straßenbeleuchtung der weitverbreitete Typ von Lampen mit einem hohen Schaft bezeichnet, der sich am oberen Ende leicht gebogen in einem sogenannten Ausleger leicht über die Straße neigt. In dieser Form beanspruchen die Peitschenlampen keinen Raum innerhalb der Gehzone, während sie diese gleichzeitig ausleuchten.

Straßenlampen als Grazien

Dass Lewandowskys für seine Arbeit auf die weitgehend prosaische, dafür aber allseits vertraute Straßenlampe zurückgreift, steht im Einklang mit der Genese. Die Grazien sind das Ergebnis eines von der Vonovia initiierten Skulpturenwettbewerbs mit dem Ziel, die Identifikation der Bewohner mit dem Viertel zu stärken. Das ehemals vorwiegend von Arbeitern besiedelte Knorr-Quartier hat mit der Neubebauung auch seine Bevölkerungsstruktur verändert. Unweit der Frankfurter Messe gelegen, ist das Wohngebiet ein öffentlicher und regelmäßig frequentierter Ort. Die hier installierten Werke unterstehen anderen Bedingungen als solche, die sich an vornehmlich der Kunst vorbehaltenen Orten wie ein Museum oder eine Galerie befinden. Weit stärker als dort muss ein Werk im öffentlichen Raum dem Publikum auf Augenhöhe begegnen. Dieser Anforderung entspricht Lewandowsky förmlich wortgetreu, beugen sich doch seine Straßenleuchten regelrecht den BetrachterInnen entgegen. Vertraut erscheinen sie auch in ihrer Farbigkeit. Es handelt sich um Resedagrün, einem leicht angestaubt anmutenden hellen Grünton, der in der RAL-Systematik als „Maschinenfarbe“ bezeichnet wird. So einerseits auf Vertrautem aufbauend erscheint Lewandowskys Installation dennoch fremd durch ihre merkwürdigen Biegungen der Lampenschäfte sowie durch die eigentümliche Positionierung, die drei gleiche Lampen auf wenigen Quadratmetern zusammenführt. Praktisch von ihrer Verankerung im Boden an brechen alle drei Schäfte aus der Vertikalen aus und beginnen sich in verschiedene Richtungen zu biegen, um dann im in ihrem oberen Drittel sich soweit nähern, dass dies eine Umarmung gleichzukommen scheint. Mit ihrer auffälligen Form behauptet sich die Installation zu jeder Tageszeit und bei jeder Beleuchtung. Darin unterscheidet sie sich wesentlich von Lichtkunstwerken, die primär aus dem Material Licht bestehen und so meist erst bei Dunkelheit sichtbar werden.

Allerdings entfalten auch die Grazien eine weitere Dimension, sobald die Leuchtkörper eingeschaltet sind. Die drei Lampen, jeweils mit einem 24 Volt-LED Leuchtmittel ausgestattet, sind unterschiedlich ausgerichtet und scheinen mit ihren gewundenen Hälsen und sanften Lichtkegeln den sich in ihrer Mitte stehenden Baum regelrecht zu umgarnen. Als Grazien werden in der griechischen Mythologie drei Töchter des Zeus – die Frohsinnige, die Blühende und die Strahlende – bezeichnet, die den Menschen Anmut, Schönheit und Freude brachten. Klassischerweise werden sie sich umarmend oder einen Reigen tanzend dargestellt.

Kunst soll im Leben der Anwohner vertrauter Teil werden

Das Knorr-Quartier, wo Lewandowskys Grazien auf einer Grünfläche zwischen den Häusern aufgestellt sind, wirke – so der Künstler – „wie eine Schleuse zwischen öffentlichem und privatem Raum“ und stellt als solche besondere Herausforderungen an die Kunst. Das Werk muss für die Anwohner verständlich sein und sie müssen es als „Überbringer einer kulturellen Botschaft“[1] akzeptieren. Auf diese Anforderungen reagiert der Künstler, indem er mit den Lampen zwar an etwas allgemein Vertrautes anknüpft, sie dann aber künstlerisch überformt und schließlich auf den mythologischen Bezug hinführt. Ein für das Werk bedeutsames Detail stellt der Baum – ein Kugelahorn – dar, der den Mittelpunkt der Standfläche und des Skulpturenensembles bildet. Er bindet das Kunstwerk buchstäblich in die Natur ein, denn im Laufe der Jahre wird er wachsen und die Installation mehr und mehr dominieren. Am Wachstum des Baumes wird der Wandel der Zeit ablesbar sein, während die statischen Lampen unverändert bleiben werden, gleichwohl aber der Blick auf das Werk unter dem Einfluss der sich verändernden Vegetation selbst der Veränderung unterliegen. Unter dieser Voraussetzung werden die BewohnerInnen des Knorr-Quartieres Lewandowskys Arbeit ständig neu erleben. Er erhoffe sich, sagt Lewandowsky in einem Interview, dass die Grazien angenommen und ein vertrauter Teil des Lebens der Anwohner werden. „Sie könnten den Anwohnern zeigen, wie sich Kunst gemeinsam mit ihnen verändert. Und das Kunst was ganz Normales ist.“ [2]

Die Straßenlampe – diskutiert und oft zitiert

Wie kein anderes steht die Straßenlampe als Symbol für nächtliche Urbanität und damit für Kunstlicht im Stadtraum – dies rechtfertigt auch die Aufnahme der Skulptur in den vorliegenden Lichtkunst-Parcours. Gleichzeitig greift Lewandowsky mit ihr ein Sujet auf, das eine Fülle von kunst- und kulturgeschichtlichen Anknüpfungspunkten bietet. So mag dem Betrachter nicht nur Marlene Dietrichs rauchig-traurige Lili Marleen ins Gedächtnis kommen, sondern vielleicht auch die vielerorts geführte Diskussion um die geplante Ersetzung der alten Gasbeleuchtung durch LED-Straßenlampen. Diese Pläne lösten unter anderem auch Frankfurt heftige Debatten unter vehementer Beteiligung der AnwohnerInnen aus, war doch zu befürchten, dass mit dem neuen Licht nicht nur die Atmosphäre verloren gehen, sondern auch die historischen Leuchtkörper verschwinden würden. Die Prognose, dass durch die Umrüstung anfallenden Kosten innerhalb weniger Jahre dank der Energieeffizienz der LED aufgewogen würden, erwies sich mitunter als trügerisch, nahm doch gleichzeitig die Anzahl der Lichtpunkte in den Städten zu. Unabhängig von ästhetischen Kriterien zeigen zudem die helleren und von der Lichtfarbe her kälteren modernen Lichtmittel Auswirkungen auf Ökologie und physische wie auf psychische Verfasstheit.

Der Streit um die alten Gaslaternen markiert indes nur die Fortsetzung einer grundlegenden Faszination für die Straßenbeleuchtung, Das Motiv der Straßenlaterne findet sich von der impressionistischen Malerei hin zu gegenwärtigen Positionen. Zu denken ist an Giacomo Ballas futuristisches Bild einer mit einem Glorienschein umgebenen Straßenlaterne von 1909 oder Otto Dix‘ ganz auf das Licht konzentrierte Gemälde Straßenlaternen vor sonst dunklem Grund von 1913. Beide Bilder reflektieren die sich mit der Industrialisierung verändernde Dynamik des Lebens. Diese schlägt sich nicht nur in dem von der Geschwindigkeit neuer Verkehrsmittel ausgelösten Rausch nieder, sondern ebenso in der Verherrlichung des technischen Fortschritts, der nicht zuletzt die Lichtverhältnisse in den Innen- wie auch den Außenräumen und damit das Bild des öffentlichen Raumes verändert.

Vor allem als Skulptur ist die Straßenlampe in der zeitgenössischen Kunst keine Unbekannte. Sein Objekt Laterne mit Betrunkenem kombiniert Martin Kippenberger sinnigerweise mit überdimensionalen Kopfschmerz-Tabletten. Im Rahmen der Skulptur Projekte Münster 1996 führte Andreas Slominski eine Aktion durch, deren sichtbares Endergebnis nicht mehr und weniger als ein um den Mast einer Straßenlampe gelegter Fahrradschlauch war. Doch hatte der Künstler den Schlauch nicht einfach von oben über die Lampe geworfen, sondern mittels einer aufwändigen Prozedur unter den Mast gelegt, nachdem die Lampe zuvor ausgegraben und die elektrischen Anschlüsse gelöst worden waren. Unerwähnt bleiben darf keinesfalls Streetlight des amerikanischen Künstlers Tony Oursler – eine temporäre Installation mit einer scheinbar herkömmlichen Straßenlampe, die aufleuchtete und zu sprechen begann, wenn man sich ihr näherte.

Für den 1963 in Dresden geborenen Via Lewandowsky stellt die Beschäftigung mit Licht als gestaltendem Mittel eine Ausnahme dar. Bekannt ist Lewandowsky vielmehr durch seine subversiven Ansätze, wie sie sich in seinem Euthanasie-Zyklus zeigen, eine Folge von Porträts, für die der Künstler als Malmaterial u. a. Urin verwendet hat, oder seine ironisch mit „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ kommentierten Installation Berliner Zimmer, im Hamburger Bahnhof in Berlin. Die Arbeit besteht in der zu einem Wohnambiente arrangierten Ansammlung von geläufigem Wohnzimmermobiliar. Doch zerfällt sie sichtbar in zwei Hälften, weil genau durch ihre Mitte ein radikaler Schnitt verläuft, der sogar die auf der Strecke liegenden Möbel zweiteilt. Das Komisch-Absurde bis Groteske seiner Arbeiten versteht sich dabei stets als kritische Stellungnahme.

 

Viola Hildebrand-Schat

 

Weitere skulpturale Lichtkunstwerke:

Christian Herdeg, Synergie, 1997, Platz der Einheit / Gallus

Olga Schulz, Grüne Soße Denkmal, 2007, Kochstraße Ecke Speckgasse / Oberrad

 

[1] Siehe https://skulpturenwettbewerb.vonovia.de/de-de/realisierung/frankfurt, abgerufen 14.1.2021.

[2] Siehe https://skulpturenwettbewerb.vonovia.de/de-de/realisierung/frankfurt, abgerufen 13.1.2021.

LICHTPLAN Robin Uber

Bauhaus „goes“ Mondrian, 2016

© beide Abbildungen und Fotos: LICHTPLAN Robin Uber, Köln

Mainova AG, Umspannwerk Lübecker Straße Ecke Eschersheimer Landstraße

Eschersheimer Landstraße 147 / Westend

U Holzhausenstraße

Mit Einbruch der Dunkelheit verwandelt sich eines der Gebäude an der Eschersheimer Landstraße, das tagsüber mit seiner schlichten Architektur kaum aus der übrigen Bebauung heraustritt, in einen leuchtenden Kubus. Über die Fensterfronten dringt aus dem Inneren farbiges Licht und interagiert mit der Baustruktur in einer Weise, dass der Eindruck eines konstruktivistischen Gemäldes aufkommt. Ein solcher ist, wie sich schon über den Titel der Arbeit andeutet, von den Produzenten angestrebt. Die Lichtinstallation will auf die Architektur des Gebäudes aufmerksam machen und dabei über die Reminiszenz an Piet Mondrian zugleich ein Stück Kunstgeschichte aufzeigen.

Ein Umspannwerk mit Bauhaus-Wurzeln

Bei dem Gebäude handelt es sich um einen dreigeschossigen Flachbau von 1930, der heute eines der Umspannwerke der Mainova AG beherbergt. Der Bau folgt mit seiner klaren kubischen Gliederung ganz den Prinzipien des Bauhauses. Als charakteristisch für die Bauhausarchitektur gelten die konsequente Anwendung kubischer Formen bei allen Details sowie die fast vollständig von Fenstern eingenommene Fassade, die über die Eckrisalite umlaufen und Längs- wie Schmalfront gleichermaßen einnehmen. Über die sich wie Bänder um die Fassade schließenden Fenster wird auch die Etageneinteilung nach außen hin kommuniziert. Besonders deutlich wird sie an der Längsseite, während an der Schmalseite die Fenster sich zu einer Art Lichtschacht formieren, in dem die Treppenaufgänge sichtbar werden. Doch setzt sich die modulare Baustruktur ungebrochen in den Fenstern fort. Durch die Verstrebungen sind sie in große Rechtecke untergliedert, die wiederum durch die Rahmung in viele kleine Rechtecke aufgeteilt werden. Zugleich stellen sie den Aktionsraum für das Lichtkunstwerk bereit.

Ein Mosaik aus LEDs

Hinter den insgesamt 26 Fenstern der nach Süden weisenden Schmalseite und der östlichen Längsseite sind 83 monochrome mit einer Linsenoptik versehene Power-LEDs angebracht. Im Treppenaufgang, der an der nördlichen Schmalseite von außen sichtbar ist, sind 7263 SMD-LED-Chips (Oberflächendioden) installiert, die sich zu 62 Metern RGB (Rot-Grün-Blau) LED-Streifen zusammenfügen. Sie weisen zwar die gleichen Farben auf wie die LEDs an der Längsfront, lassen sich jedoch besser fokussieren und eignen sich, zu Streifen zusammengefasst, zudem für eine klare Akzentuierung der Farben. In unterschiedlichen und zudem wechselnden Farben überflutet das von den diversen Lichtelementen ausgesandte Licht die Fensterfront. Die Farben werden vom hellen Anstrich an Wand und Decke des Treppenhauses reflektiert, wobei einerseits die etwas dunklere, gräuliche Tönung im unteren Wandbereich, andererseits die bauliche Gliederung die Struktur für die Farbfelder vorgibt. Das hat zur Folge, dass im Endeffekt sich der Eindruck einstellen soll, mit einem Gemälde im neoplastizistischen Stil von Piet Mondrian konfrontiert zu sein – nur dass die architektur- und lichtgebundene Arbeit nicht zwei- sondern dreidimensional ist.

Der neoplastizistische Gedanke leitet auch die Ausleuchtung der großen, längs zum Straßenverlauf nach Osten ausgerichteten Fensterfronten. Aus den einzelnen Fensterausschnitten tritt je eine Lichtfarbe hervor, so dass von außen verschiedenfarbige Felder nebeneinander zu sehen sind. Sie bilden in der Gesamtheit ein Mosaik und sollen in ihrer modularen Struktur auf die Gemälde der neoplastizistischen Phase Piet Mondrians verweisen.

Neoplastizismus und die Farben Mondrians

Unter neoplastizistisch fallen die zunächst gedanklich entwickelten und erst später umgesetzten gestalterischen Prinzipien Mondrians. Mit der Gründung der De Stijl-Gruppe veröffentlichte er 1917 erste Gedanken zu einem neuen Stil, der von kubistischen Prinzipien ausgehend, auf klar strukturierten geometrischen Formen basieren sollte. Auch wenn die neue Malweise in seinen eigenen Arbeiten erst Jahre später hervortrat, waren die zentralen Gedanken bereits in dem in der Zeitschrift De Stijl erschienenen Aufsatz Die neue Plastik in der Malerei formuliert. Diese gestalterischen Prinzipien verband er mit einer rigiden Beschränkung auf die Primärfarben Gelb, Rot und Blau. Sie bestimmten über lange Zeit sein künstlerisches Werk.

Angesichts der von Mondrian strengen Festlegung auf die drei Grundfarben muten die Farben von Ubers Lichtinstallation zunächst unpassend an – umso mehr, als über den Titel die Referenzen zu Bauhaus und Mondrian explizit werden. In der Lichtinstallation von Uber scheinen neben Gelb, Rot und Blau auch Grün auf, zudem mit changierenden Nuancen, so dass sie ins Pinke und Violette gleiten. Hinzu kommt, dass sich die Farbanordnung über den Verlauf einer Woche von Tag zu Tag verändert, wodurch die klaren Vorgaben von Bauhaus und De Stijl erst einmal gebrochen werden. Die sich von den Grundfarben entfernende Farbgebung in der Lichtinstallation mag vor dem Hintergrund von Bauhaus und De Stijl erstaunen, erklärt sich jedoch vielleicht über eine theosophische Implikation bei De Stijl. Die Gruppe stand in ihren Anfängen unter dem Einfluss des niederländischen Theosophen M. H. J. Schoenmaekers. Er sprach vom „Allgemeinen trotz des Besonderen“ und übte über seine Schrift Het Geloof van den nieuwen mensch (Der Glaube an den neuen Menschen) und Het nieuwe wereldbeeld  (Das neue Weltbild) Einfluss auf Mondrian aus. Einen Teil der Terminologie Schoenmaekers‘ griff Mondrian in seinem Aufsatz über den Neoplastizismus auf. Auch hatte Mondrian selbst die Eingrenzung auf die Primärfarben nicht durchgängig konsequent verfolgt. Nach einer ersten Phase von 1909 bis 1911 hatte er, bevor er 1921 wieder zu den Primärfarben zurückkehrte, mit gebrochenen Tönen wie Gelbgrün, Orange und unterschiedlichen Nuancen von Blau und Rot experimentiert.

Huldigung des rechten Winkels

Neben der Farbgebung bildet der rechte Winkel ein charakteristisches Element in Mondrians Arbeiten, zugleich auch die Verbindung zum Gebäude in der Eschersheimer Landstraße. Deutlich tritt er in der der Rahmung der Fenster zutage, die zugleich die Strukturierung der an Mondrian ausgerichteten Lichtfelder liefert. Der Philosophie Mondrians folgende steht der rechte Winkel für eine Wahrhaftigkeit hinter den wechselnden Erscheinungen des Lebens. Mit seiner eindeutigen Ausrichtung suggeriert der er Halt und Festigkeit, wobei die Horizontale für die Erde steht, die Vertikale hingegen für den erdverwurzelten, aufrechtstehenden Menschen. Horizontale und Vertikale sind als Gegensätze zu verstehen, die auf Ausgleich drängen, den sie schließlich in der Kreuzform finden.

Mondrian und Bauhaus

Mit dem Bauhaus stand Mondrian soweit in Verbindung, dass 1925 Walter Gropius Mondrians Schrift Le Néo Plasticisme unter dem Titel Neue Gestaltung, Neoplastizismus, Nieuwe Beelding in die Reihe der Bauhausbücher aufnahm. Auch in die jüngere Kunst wirkte Mondrians Gedankengut nach. Mit Blick auf das Medium Licht ist vor allem Dan Flavins 1966 konzipierte Lichtinstallation green crossing greens erwähnenswert. Mit ihr greift Flavin die von Mondrian ausgelassenen Farbtöne auf, zu denen neben Grün auch Violet und Orange gehören, die wiederum in Flavins Arbeit im Wechsel nacheinander aufleuchten. In deutlicher Anspielung auf Mondrian schuf etwa auch der deutsche Maler Imi Knoebel seine vierteilige Installation ROT GELB WEISS BLAU, ebenso der Schweizer Installationskünstler Thomas Hirschhorn seinen Mondrian Altar.

Wie EnergyStation von Jochen Siegemund et al. im Ostend ist auch Bauhaus „goes“ Mondrian im Rahmen einer Ausschreibung der Mainova AG anlässlich der Luminale entstanden. Wie diese befindet sich die Arbeit in einem Umspannwerk. Eine dritte, von der Mainova geförderte Arbeit sind die Schattenrisse Ins Licht gerückt von Katharina Berndt am Heizkraftwerk Mitte, einem Eckgebäude an der Kurt Schumacher Straße und der Allerheiligenstraße. Die Mainova AG gehört damit zu den Hauptinitiatoren von bleibenden, gebäudegebundenen Lichtinstallationen im Stadtraum.

 

Viola Hildebrand-Schat

 

Weitere Arbeiten an Gebäuden der Mainova:

Katharina Berndt, Ins Licht gerückt, 2012, Mainova AG Heizkraftwerk Mitte, Konstablerwache Ecke Allerheiligenstraße / Innenstadt

Jochen Siegemund, Felix Grauer, Vitali Lukin, EnergyStation, 2014, Mainova AG Umspannwerk Osthafenplatz, Osthafenplatz / Ostend

 

Mirek Macke

Mensch 

Foto: Luis Sütter

Weißfrauen Diakoniekirche

Weserstraße 5 / Bahnhofsviertel

U, Tram Willy-Brandt-Platz

Schon von weitem gut lesbar scheint der Schriftzug „Mensch“ förmlich zu schweben. Tatsächlich ist er oberhalb des Vordaches am Eingangsbereich der Weißfrauen Diakoniekirche montiert. Die serifenlosen Buchstaben wirken unprätentiös und sachlich, einzig ihre Zusammenstellung zu dem Begriff „Mensch“ lässt ahnen, dass es bei dieser Arbeit um mehr als eine Reklame geht. Es handelt sich um eine Arbeit des Frankfurter Künstlers Mirek Macke von vermutlich 1998. Genaue Angaben sowohl zur Entstehungszeit wie zum künstlerischen Ansatz liegen nicht vor, was umso mehr erstaunt, als es sich doch um ein relativ prominentes Werk im öffentlichen Raum handelt.

Recyceltes Warenhaus-Logo

Was dem Schriftzug, so wie er an der Weißfrauen Diakoniekirche in Erscheinung tritt, weiterhin nicht zu entnehmen ist, ist, dass es sich hier um die recycelten Buchstaben eines anderen Schriftzuges handelt. Sie waren ursprünglich Teile der Schrift, die an der Zeil auf das alteingesessene Warenhaus M. Schneider hinwiesen. Mit seiner Schließung im Jahre 1998 erübrigte sich auch das Leuchtschild. Der demontierten Buchstaben nahm sich Macke an, um sie als Material für seine Arbeit an der Weißfrauenkirche zu nutzen. Er befreite sie von ihrer blauen Farbe, um sie in einem neutralen Weiß neu zu kombinieren. Das den Begriff einleitende M entstammt der Initiale des Vornamens des Begründers und erinnert so mehr an den Menschen Michael als an den Handelsherrn Schneider.

Die Frankfurter Niederlassung von M. Schneider war nur eine unter mehreren. M. Schneider blickte mit seinem ersten 1887 in der Großen Bockenheimer Straße eröffneten Geschäft nicht nur auf eine lange Tradition in Frankfurt zurück, sondern hatte schon zuvor in Leipzig, Nürnberg und München Geschäfte,  für die er durch gemeinsamen Wareneinkauf einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz erlangen konnte. 1968 wurden von der Roten Armee Fraktion (RAF) auf das Kaufhaus und den nahe gelegenen Kaufhof Brandanschläge verübt.

Damit verweist die Arbeit auch auf ein Stück Frankfurter und bundesrepublikanischer Geschichte. Neue Assoziationsfacetten mag die Arbeit nicht zuletzt durch die aktuelle Entwicklung, in der sich Einzelhandels- und Innenstadtstrukturen stark wandeln, erlangen. Was geschieht in diesen Zeiten mit dem Mensch?

Mehrfacher Ortsbezug

Dass nun Macke für seine Arbeit den Begriff „Mensch“ wählte, steht in unmittelbarem Bezug zum Ort. Die Weißfrauenkirche dient seit 2005 dem Diakonischen Werk für den Evangelischen Regionalverband Frankfurt am Main als Diakoniekirche. Neben der klassischen diakonischen Arbeit fungiert sie als Begegnungsstätte für Obdachlose sowie als Ausstellungs- und Veranstaltungsort für künstlerische und kulturelle Aktivitäten.

Die Arbeit von Mirek Macke nimmt also in mehrfacher Hinsicht auf den Ort Bezug: zum einen ist sie als Lichtkunstwerk Teil der von der Diakonie veranlassten künstlerischen Aktivitäten, zum anderen und weit schwerwiegenderen Teil erinnert sie an die Bedeutung der diakonischen Arbeit, die unmittelbar dem Menschen zugutekommt. Der Begriff weist unmittelbar auf das Bestreben des Projektes Diakoniekirche, die Kirche für gesellschaftliche Fragen zu öffnen und Diakonie, Kultur und Wissenschaft miteinander zu verknüpfen. Anspruch ist es, hiermit eine Gesellschaft aktiv mitzugestalten, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

So ist die Weißfrauenkirche immer wieder Ort für künstlerische Interventionen, die in besondere Weise sozialpolitisch Stellung nehmen. Beispielsweise zeigte 2015 der Frankfurter Künstler Albrecht Wild am Glockenturm Flaggen und Transparente, die mit ihren Aufschriften auf Ausgrenzung und Obdachlosigkeit hinweisen.

Vom Künstler zum Kurator

Der 1959 geborene Mirek Macke ist in Frankfurt vor allem als Begründer des Kunstvereins Familie Montez bekannt, dessen Name auf die Tänzerin Lola Montez, die Geliebte König Ludwigs I. von Bayern, verweist. Von 1987 bis 1995 studierte er an verschiedenen Kunsthochschulen, unter anderem am Art Institute in San Francisco (SFAI) und der Kunstakademie in Rotterdam sowie zuletzt von 1987 bis 1993 bei Peter Kubelka an der Städelschule Experimentalfilm und bei Georg Herold in der Bildhauerklasse. Seine künstlerischen Aktivitäten sind aktuell weitgehend hinter kuratorische und organisatorische Aufgaben zurückgetreten, die der Kunstverein mit sich bringt. Dies mag auch erklären, weshalb die Genese der Arbeit Mensch so gut wie nicht dokumentiert ist.

Seit 2014 ist der Kunstverein Familie Montez in den denkmalgeschützten Rundbögen der Honsellbrücke im Frankfurter Ostend angesiedelt.

 

Viola Hildebrand-Schat / Heike Sütter

Tobias Rehberger

FREE PARKING FREE COFFEE FREEDOM, 2015

© Tobias Rehberger, Foto: Luis Sütter

Neonlichtschild

Pizzeria Montana

Weserstraße 14 / Bahnhofsviertel

U, Tram Willy-Brandt-Platz

Dieser Text bezieht sich auch auf Tobias Rehbergers Arbeit Hello I am here to perpetuate your socially acceptable chemical dependenz, 2018 (Neonlichtschild, Das Herz von Frankfurt, Braubachstraße 21 / Altstadt)

Offensichtlich bleibt der Prorektor der Städel-Schule, Tobias Rehberger, auch nach Niederlegung seines Amtes eine feste Größe in Frankfurt. Obwohl die Eröffnung des Cafés Das Herz von Frankfurt in der Braubachstrasse erst für vier Wochen später angesetzt war, kam Ende September 2018 Prominenz zum „Soft-Opening“ in die Altstadt, angeführt von Oberbürgermeister Peter Feldmann und dem Künstler persönlich. Schließlich wurde ein Neonlicht-Signet eingeweiht, das Rehberger als Beweis seiner Freundschaft den Barinhabern, den Brüdern Zeleke, geschenkt hatte. In Form einer Sprechblase, deren Konturen einen deutlichen Rahmen bilden, lautet die umlaufende Schrift: „Hello I am here to perpetuate your socially acceptable chemical dependenz“, was so viel bedeutet wie: „Ich bin hier, um deine sozial akzeptierte Droge aufrechtzuerhalten.“ Denn eine Droge sei nun mal Kaffee, sagt Rehberger. Beim genauen Hinsehen treten die vier Buchstuben H-E-R-Z mit Unterbrechungen in Rot hervor, gleichzeitig erweist sich die Sprechblase als ein mit verschlungenen Linien illustriertes Gehirn. Die Kombination aus Schrift- und Bildzeichen bindet eine Reihe von Anspielungen ein, die in unmittelbarem Bezug zum Ort stehen, aber auch als gesellschaftskritischer Kommentar verstanden werden können. Wenn Rehberger betont, dass Kaffee eine Droge sei und diese Aussage mit einem Gehirn in Verbindung bringt, drängt sich der Einfluss des Koffeins auf die Hirnfunktion auf. Das „Herz“ von Frankfurt wird somit zum unabdingbaren Ort für alle, die ohne Koffein für Kopf und Kreislauf nicht leben und arbeiten können.

Abgesehen von Kaffee, wissen diejenigen, die Rehbergers Arbeit seit langem verfolgen, dass er zuletzt oftmals Neon als Material für seine künstlerische Arbeit nutzt. Freilich ist die Vertrautheit nicht ganz unbegründet. Diagonal auf der südwestlichen Achse des Stadtzentrums, nämlich in der Weserstraße, befindet sich eine weitere Lichtinstallation von demselben Künstler. Auch diese, als gerundet rechteckiges Leuchtschild konzipierte Arbeit ist als Freundschaftsdienst gedacht. Rehberger übereignete sie dem Pizzeria-Betreiber Sam Kamran, der im Frühsommer 2015 sein Lokal in Betrieb nahm. Denn Kamran, der Mitte Januar 2021 tragisch verstorbenen ist, war lange Zeit ein Vertrauter von Rehberger. Kamrans Pizzeria verdankt ihren Namen einer Inspiration durch die benachbarten Gastronomiebetriebe, die vorgeblich das Gangstermilieu vertrete. In dieses reiht sich der Name Montana ein, der wiederum auf Tony Montana, den Hauptprotagonisten des 1983 gedrehten Krimis Scareface. The World is Yours zurückgeht.

Versteckte Ortshinweise

In Anlehnung an die Tradition von „Speakeasy“, welches für die illegal Alkohol ausschenkenden Kneipen gebraucht wird, ist der Name Montana jedoch nirgendwo in der Beschriftung der Arbeit zu finden. Vielmehr beschränkt sich deren Wortlaut auf „Free Parking, Free Coffee, Freedom“. Nicht nur der Name, sondern auch die Funktion des Ortes werden „verborgen gehalten“, was an die Zeit der geheimen Kneipen mit ihrem verbotenen Alkoholausschank in den USA während der Prohibition erinnert. Die Verbindung der beiden Werken Rehberges bekundet sich nicht nur in der Materialität der Neonarbeiten. Weitere Gemeinsamkeiten folgen, etwa in der subtilen Vermittlung der Ortsbezeichnung, die einmal in der Hervorhebung der Buchstaben H, E, R, Z und einmal in der Übernahme eines Mafiosi-Namens bestehen.

Dabei setzen sich die mit 12 Farben beleuchteten Giebelinstallationen von der gradlinigen Architektur gleichermaßen ab. Außerdem deuten das Flackern des Herz-Neonlichts und die unvollständige Umrahmung mit Glühbirnen im Montana-Lichtschild gleichermaßen auf die Absicht hin, dass die beiden Objekte verwahrlost wirken sollen. Demnach ist zu vermuten, dass die beiden Lichtinstallationen eine Einheit bilden sollen, auch wenn sie zu verschiedenen Zeitpunkten angefertigt und an unterschiedlichen Orten angebracht wurden.

Kunst für alle

Beide Werke verbinden sich mit der Absicht, Formen der Rezeption und Zugänglichkeit zu erkunden.  Zum einen verkörpert ein Freundschaftsdienst keineswegs den materiellen Wert von den Kunstobjekten eines international bekannten Künstlers wie Tobias Rehberger. Denn es ist leicht zu erahnen, dass der Gewinner des renommierten „Goldenen Löwen“ der Biennale von Venedig seine Werke sich sonst auf dem Kunstmarkt gut bezahlen lässt. Als Ausdruck der Wertschätzung erreichen seine Werke Personen wie die beiden Restaurantinhaber Zeleke und Kamran ohne Honorarvergütung und gewähren gleichzeitig allen, die sonst nicht der Kunst verbunden sind, eine Chance zur kulturellen Teilhabe. Doch auch wenn nun in diesem Fall der Zugang durch den öffentlichen Raum geboten wird, ist er gleichwohl durch Barrieren wie Sprachkenntnisse erschwert. Zum anderen sind die Lichtinstallationen öffentlich sichtbar und profitieren daher sowohl von zufällig vorbeikommenden PassantInnen als auch aufgeklärten ortsansässigen StadtbewohnerInnen. Für alle auf gleiche Weise sichtbar, lösen die beiden Werke die Grenze zwischen Einheimischen und Zugezogenen auf.

Mehrdeutige „Werbung“

Darüber hinaus reflektiert die Wiederbelebung der Tradition „Speakeasy“ Rehbergers Experimentierfreudigkeit im Umgang mit alltäglichen Erscheinungsformen. Eingebettet in die Lichtreklame an Außenfassaden in den belebten Stadtteilen sind die Werke zunächst unauffällig. Die künstlerische Intention lässt sich erst mit einer sorgfältigen Betrachtung der vielfarbig leuchtenden Texte erschließen. Obwohl sich die Gestaltung an der Neugierde weckenden Idee von Werbung orientiert, grenzt sie sich zugleich davon in mehrerlei Hinsicht ab. Während Werbung die potenziellen KonsumentInnen zur Kaufentscheidung anregt, verfolgen Rehbergers Werke andere Absichten. Nicht nur ist die Leuchtschrift reichlich mit Leerstellen versehen, sondern auch durch ihren Wortlaut anders kontextualisiert. Das zeigt sich unter anderem am Text „free parking“. Mit der Zusammenführung von „free“ und „parking“ scheinen Restaurantbesitzer einerseits, die Stadtverwaltung andererseits angesprochen. Zudem wird anhand eines scheinbar harmlosen Getränks wie Kaffee die Gratwanderung des Konsumverhaltens von Notwendigkeit zu Abhängigkeit veranschaulicht. Insofern verwandeln sich die Texte von Slogans zu Fragen, angestoßen durch die Mehrdeutigkeit von „free“, was „kostenfrei“ und „ohne Einschränkung“ bedeuten kann. Zwischen Enthüllung und Verhüllung sowie Anraten und Abraten liegt die Einladung zum Nachdenken über den Stellenwert der Arbeiten von Rehberger.

Analog der Doppelfunktion, dass Licht sich einerseits als eine der Bedingungen für das visuelle Sehen, anderseits als eine durch das geistige Sehen herbeigeführte Einsicht deuten lässt, thematisiert Rehbergers Kombination von Bild und Text die reflexive Beziehung zwischen dem Medium „Beleuchtung“ und dem als Ziel angegebenen Gegenstand „Erleuchtung“. Nicht zuletzt erinnert das in der Neonarbeit am Café Herz skizzierte Gehirn daran, dass das Verstehen von Text mit dessen Funktionieren verknüpft ist, also das Ans-Licht-Bringen veranlasst. In der Umsetzung des künstlerischen Konzepts, dass bunte Neonröhren einen klaren Zustand des mentalen Bewusstseins symbolisieren, versetzt Kunst die wahrnehmbare Trennlinie zwischen dem Sichtbaren und dem Denkbaren. Kunst hat immer eine Funktion, so Tobias Rehberger. Bei ihm ist diese – bekanntermaßen – die Grenzverschiebung.

Min Zeng

Tobias Rehberger

Hello I am here to perpetuate your socially acceptable chemical dependenz, 2018

© beide Abbildungen: Tobias Rehberger, Fotos: Raman Fotos

Neonlichtschild

Das Herz von Frankfurt

Braubachstraße 31 / Altstadt

U, Tram Dom / Römer

Dieser Text bezieht sich auch auf Tobias Rehbergers Arbeit FREE PARKING FREE COFFEE FREEDOM, 2015 (Neonlichtschild, Pizzeria Montana, Weserstraße 14 / Bahnhofsviertel)

Offensichtlich bleibt der Prorektor der Städel-Schule, Tobias Rehberger, auch nach Niederlegung seines Amtes, eine feste Größe in Frankfurt. Obwohl die Eröffnung des Cafés Das Herz von Frankfurt in der Braubachstrasse erst für vier Wochen später angesetzt war, kam Ende September 2018 Prominenz zum „Soft-Opening“ in die Altstadt, angeführt von Oberbürgermeister Peter Feldmann und dem Künstler persönlich. Schließlich wurde ein Neonlicht-Signet eingeweiht, das Rehberger als Beweis seiner Freundschaft den Barinhabern, den Brüdern Zeleke, geschenkt hatte. In Form einer Sprechblase, deren Konturen einen deutlichen Rahmen bilden, lautet die umlaufende Schrift: „Hello I am here to perpetuate your socially acceptable chemical dependenz“, was so viel bedeutet wie: „Ich bin hier, um deine sozial akzeptierte Droge aufrechtzuerhalten.“ Denn eine Droge sei nun mal Kaffee, sagt Rehberger. Beim genauen Hinsehen treten die vier Buchstuben H-E-R-Z mit Unterbrechungen in Rot hervor, gleichzeitig erweist sich die Sprechblase als ein mit verschlungenen Linien illustriertes Gehirn. Die Kombination aus Schrift- und Bildzeichen bindet eine Reihe von Anspielungen ein, die in unmittelbarem Bezug zum Ort stehen, aber auch als gesellschaftskritischer Kommentar verstanden werden können. Wenn Rehberger betont, dass Kaffee eine Droge sei und diese Aussage mit einem Gehirn in Verbindung bringt, drängt sich der Einfluss des Koffeins auf die Hirnfunktion auf. Das „Herz“ von Frankfurt wird somit zum unabdingbaren Ort für alle, die ohne Koffein für Kopf und Kreislauf nicht leben und arbeiten können.

Abgesehen von Kaffee, wissen diejenigen, die Rehbergers Arbeit seit langem verfolgen, dass er zuletzt oftmals Neon als Material für seine künstlerische Arbeit nutzt. Freilich ist die Vertrautheit nicht ganz unbegründet. Diagonal auf der südwestlichen Achse des Stadtzentrums, nämlich in der Weserstraße, befindet sich eine weitere Lichtinstallation von demselben Künstler. Auch diese, als gerundet rechteckiges Leuchtschild konzipierte Arbeit ist als Freundschaftsdienst gedacht. Rehberger übereignete sie dem Pizzeria-Betreiber Sam Kamran, der im Frühsommer 2015 sein Lokal in Betrieb nahm. Denn Kamran, der Mitte Januar 2021 tragisch verstorbenen ist, war lange Zeit ein Vertrauter von Rehberger. Kamrans Pizzeria verdankt ihren Namen einer Inspiration durch die benachbarten Gastronomiebetriebe, die vorgeblich das Gangstermilieu vertrete. In dieses reiht sich der Name Montana ein, der wiederum auf Tony Montana, den Hauptprotagonisten des 1983 gedrehten Krimis Scareface. The World is Yours zurückgeht.

Versteckte Hinweise auf den Ort

In Anlehnung an die Tradition von „Speakeasy“, welches für die illegal Alkohol ausschenkenden Kneipen gebraucht wird, ist der Name Montana jedoch nirgendwo in der Beschriftung der Arbeit zu finden. Vielmehr beschränkt sich deren Wortlaut auf „Free Parking, Free Coffee, Freedom“. Nicht nur der Name, sondern auch die Funktion des Ortes werden „verborgen gehalten“, was an die Zeit der geheimen Kneipen mit ihrem verbotenen Alkoholausschank in den USA während der Prohibition erinnert. Die Verbindung der beiden Werken Rehberges bekundet sich nicht nur in der Materialität der Neonarbeiten. Weitere Gemeinsamkeiten folgen, etwa in der subtilen Vermittlung der Ortsbezeichnung, die einmal in der Hervorhebung der Buchstaben H, E, R, Z und einmal in der Übernahme eines Mafiosi-Namens bestehen.

Dabei setzen sich die mit 12 Farben beleuchteten Giebelinstallationen von der gradlinigen Architektur gleichermaßen ab. Außerdem deuten das Flackern des Herz Neonlichts und die unvollständige Umrahmung mit Glühbirnen im Montana-Lichtschild gleichermaßen auf die Absicht hin, dass die beiden Objekte verwahrlost wirken sollen. Demnach ist zu vermuten, dass die beiden Lichtinstallationen eine Einheit bilden sollen, auch wenn sie zu verschiedenen Zeitpunkten angefertigt und an unterschiedlichen Orten angebracht wurden.

Kunst für alle

Beide Werke verbinden sich mit der Absicht, Formen der Rezeption und Zugänglichkeit zu erkunden.  Zum einen verkörpert ein Freundschaftsdienst keineswegs den materiellen Wert von den Kunstobjekten eines international bekannten Künstlers wie Tobias Rehberger. Denn es ist leicht zu erahnen, dass der Gewinner des renommierten „Goldenen Löwen“ der Biennale von Venedig seine Werke sich sonst auf dem Kunstmarkt gut bezahlen lässt. Als Ausdruck der Wertschätzung erreichen seine Werke Personen wie die beiden Restaurantinhaber Zeleke und Kamran ohne Honorarvergütung und gewähren gleichzeitig allen, die sonst nicht der Kunst verbunden sind, eine Chance zur kulturellen Teilhabe. Doch auch wenn nun in diesem Fall der Zugang durch den öffentlichen Raum geboten wird, ist er gleichwohl durch Barrieren wie Sprachkenntnisse erschwert. Zum anderen sind die Lichtinstallationen öffentlich sichtbar und profitieren daher sowohl von zufällig vorbeikommenden PassantInnen als auch aufgeklärten ortsansässigen StadtbewohnerInnen. Für alle auf gleiche Weise sichtbar, lösen die beiden Werke die Grenze zwischen Einheimischen und Zugezogenen auf.

Mehrdeutige „Werbung“

Darüber hinaus reflektiert die Wiederbelebung der Tradition „Speakeasy“ Rehbergers Experimentierfreudigkeit im Umgang mit alltäglichen Erscheinungsformen. Eingebettet in die Lichtreklame an Außenfassaden in den belebten Stadtteilen sind die Werke zunächst unauffällig. Die künstlerische Intention lässt sich erst mit einer sorgfältigen Betrachtung der vielfarbig leuchtenden Texte erschließen. Obwohl sich die Gestaltung an der Neugierde weckenden Idee von Werbung orientiert, grenzt sie sich zugleich davon in mehrerlei Hinsicht ab. Während Werbung die potenziellen KonsumentInnen zur Kaufentscheidung anregt, verfolgen Rehbergers Werke andere Absichten. Nicht nur ist die Leuchtschrift reichlich mit Leerstellen versehen, sondern auch durch ihren Wortlaut anders kontextualisiert. Das zeigt sich unter anderem am Text „free parking“. Mit der Zusammenführung von „free“ und „parking“ scheinen Restaurantbesitzer einerseits, die Stadtverwaltung andererseits angesprochen. Zudem wird anhand eines scheinbar harmlosen Getränks wie Kaffee die Gratwanderung des Konsumverhaltens von Notwendigkeit zu Abhängigkeit veranschaulicht. Insofern verwandeln sich die Texte von Slogans zu Fragen, angestoßen durch die Mehrdeutigkeit von „free“, was „kostenfrei“ und „ohne Einschränkung“ bedeuten kann. Zwischen Enthüllung und Verhüllung sowie Anraten und Abraten liegt die Einladung zum Nachdenken über den Stellenwert der Arbeiten von Rehberger.

Analog der Doppelfunktion, dass Licht sich einerseits als eine der Bedingungen für das visuelle Sehen, anderseits als eine durch das geistige Sehen herbeigeführte Einsicht deuten lässt, thematisiert Rehbergers Kombination von Bild und Text die reflexive Beziehung zwischen dem Medium „Beleuchtung“ und dem als Ziel angegebenen Gegenstand „Erleuchtung“. Nicht zuletzt erinnert das in der Neonarbeit am Café Herz skizzierte Gehirn daran, dass das Verstehen von Text mit dessen Funktionieren verknüpft ist, also das Ans-Licht-Bringen veranlasst. In der Umsetzung des künstlerischen Konzepts, dass bunte Neonröhren einen klaren Zustand des mentalen Bewusstseins symbolisieren, versetzt Kunst die wahrnehmbare Trennlinie zwischen dem Sichtbaren und dem Denkbaren. Kunst hat immer eine Funktion, so Tobias Rehberger. Bei ihm ist diese – bekanntermaßen – die Grenzverschiebung.

 

Min Zeng

Betty Rieckmann

Between Clouds, 2017

© Betty Rieckmann

2-teilige Arbeit, je 200 x 130 x 12 cm, RGBWW LEDs, Microcomputer, Kabel, Metall, Stoff

T8, Foyer

Taunusanlage 8 / Innenstadt

S Taunusanlage 

Betty Rieckmanns Lichtkunstwerke im Büroturm T8 an der Taunusanlage sehen auf den ersten Blick aus wie Gemälde, geschaffen aus Licht. Im Sommer 2017 wurden die beiden Lichtkunstwerke aus Rieckmanns Werkserie Between Clouds von dem Gebäudeverwalter, der Credit Suisse Asset Management, erworben und in die Lobby der Anwaltskanzlei Linklaters gehängt. Bereits von außen wird der Blick von Vorbeilaufenden durch die Größe und Strahlkraft der zwei Meter hohen, rechteckigen Lichtobjekte angezogen. Wie ein leuchtender Rahmen flankieren die beiden Teile des Diptychons den Empfangstresen und einen dahinter liegenden Durchgang.

Unmittelbar hinter der leicht transparenten, mit einem Kedertuch überzogenen Leinwand sind auf der Rückseite der Werke unzählige LEDs in geraden Reihen angebracht; so kommen auf der Vorderseite sich überlagernde und zu vibrieren scheinende Farbfelder zustande. Die Übergänge zwischen den Rechtecken sind verschwommen und die Farben verändern sich, wodurch der Eindruck von Wolkenbewegungen entsteht. Betty Rieckmann verwendet rote, grüne, blaue und warmweiße LEDS (RGBWW), sodass die „Wolken“ nach dem Prinzip der additiven Farbmischung in allen möglichen Farben leuchten können – durch das Warmweiß auch in Pastellfarben und Grautönen. Die Farbmischungen werden von einer speziellen Software rein zufällig ausgewählt und langsam und regelmäßig verändert: Zumeist helle Pastelltöne werden immer wieder abgelöst von dunkleren Farben wie Dunkelrot, Braun oder Grau.

Malerei als Inspirationsquelle

Betty Rieckmann wurde 1986 in Kalifornien geboren und zog mit elf Jahren nach Deutschland. Sie studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und anschließend an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim. Schon während des Studiums fokussierte sie sich auf Lichtdesign und Lichtkunst. Seither arbeitet sie mit dem Medium Licht, kombiniert es aber mit sichtbaren Materialien wie Leuchtstoffröhren oder im Falle der Werkserie Between Clouds mit Leinwänden. Immer wieder bezieht sie sich mit ihren Lichtkunstwerken auf andere Werke, Stile oder Persönlichkeiten der Kunstgeschichte. In Embodiment of Brilliance von 2014 verarbeitete sie den Umgang mit Licht in der holländischen Landschaftsmalerei, in ihrer Werkserie A morphing Frank Stella orientierte sie sich ganz wesentlich an den geometrischen Farbfeldkompositionen des titelgebenden Künstlers Frank Stella aus den 1950er und 1960er Jahren.

Auch bei der Konzeption von Between Clouds hat sich Rieckmann von einem Vertreter der amerikanischen Farbfeldmalerei inspirieren lassen: Mark Rothko. Auf seinen Ölgemälden platzierte Rothko Farbfelder, die durch die spannungsreiche Beziehung zueinander wie bei Rieckmann scheinbar in Bewegung versetzt werden. Durch die Komposition und Farbenvielfalt unterscheidet sich Between Clouds jedoch auf den ersten Blick stark von Rothkos Malereien. Die Werke gleichen sich in anderer Hinsicht: Rothko verwendete eine spezielle Lasurtechnik, die den Eindruck erweckt, als wäre das Licht tief in die Malschichten eingedrungen. Das Bild scheint das Licht einzufangen, es wieder nach außen zu reflektieren und sich dadurch zu immaterialisieren. Die Betrachter sollen so förmlich von Licht und Farbe umhüllt werden. Between Clouds suggeriert ebenfalls zwei sich in den Raum vorschiebende Lichtwolken. Durch den Einsatz von LEDs ist die Raumwirkung sogar noch intensiver als bei den Ölgemälden von Rothko.

Lichtkunst als Objekt oder Raum

Rothkos Gedanken einer Transformation des Lichts auf der Leinwand in immateriellen „Lichtnebel“ oder „Lichtwolken“ griffen schon vor Rieckmann einige Künstler der kalifornischen Light & Space-Bewegung der 1960er Jahre auf. Ihr bekanntester Vertreter James Turrell ging am radikalsten vor: Seine sogenannten Ganzfeldinstallationen, die Light Rooms, bestehen fast ausschließlich aus gleichförmigem Licht, das keine räumlichen Übergänge mehr erkennen lässt und dem Betrachter die Grenzen seiner Wahrnehmung aufweist. Robert Irwin und Douglas Wheeler hingegen behielten die Materialität des Lichtkunstobjekts noch zu Teilen bei: Wheelers Light Encasements von 1968 bestehen aus transparente Leuchtkästen, deren Licht sich im Raum ausbreitet und gleichzeitig als helles Rechteck in Erscheinung tritt.

Das ambivalente Verhältnis von objektbezogener und raumgreifender, gegenstandsloser Lichtkunst steht Rieckmanns Umgang mit Licht wahrscheinlich am nächsten. Die Parallelen könnten auch mit der gemeinsamen Herkunft Kalifornien zu begründen sein: Die Light & Space-Künstler haben sich in ihrer Kunst wesentlich mit den natürlichen Lichtverhältnissen in Kalifornien auseinandergesetzt, und auch Betty Rieckmanns Beziehung zum Licht ist nach wie vor geprägt von dem besonders weichen, warmen Licht und den farbintensiven Sonnenuntergängen, die sich über das Meer und die weiten Landschaften Kaliforniens ausdehnen.

Menschlicher Puls als Taktgeber

Bei Between Clouds kommt schließlich noch das Element der Bewegung hinzu: Anders als bei Rothko oder den Arbeiten der Light & Space-Künstler, die allesamt die vollständige Auflösung der Leinwand und den Eindruck eines farbigen Lichtnebels anstrebten, zeichnet sich Rieckmanns Werk nicht nur durch seine Vielfarbigkeit, sondern auch seine Dynamik aus. Gerade die atmosphärischen Veränderungen, die durch den Farbwechsel entstehen, legen den Fokus noch mehr auf das Objekt selbst, weniger auf seine Auflösung.

Doch obwohl auf den Oberflächen von Between Clouds so viel geschieht, strahlt das Werk Ruhe aus. Sie gründet in der milchig weißen Leinwand, den sanften Farben und nicht zuletzt der langsam fließenden Bewegung beim Farbwechsel. Die Werke geben den BetrachterInnen genug Zeit, jede Farbkombination auf sich wirken zu lassen. Rieckmann hat sich bewusst für Zeitspannen von genau 7 und 2 Sekunden entschieden – sieben Sekunden für die Dauer einer Einstellung und zwei für den Wechsel. Der regelmäßige Wechsel ist an den menschlichen Puls angepasst und wirkt entsprechend beruhigend. Hinzu kommt, dass manche Farben optisch vor-, andere zurückspringen, sich Sogwirkung und sich nach Außen richtende Bewegung einander ablösen. Damit erhält das Lichtkunstwerk in Anlehnung an psychedelische Kunst ein schon fast hypnotisches Element.

Schließlich lässt die Anordnung der zur Mitte hin kleiner werdenden Rechtecke an einen leuchtenden Durchgang denken, der den realen in der Lobby des T8 nachzuahmen scheint. Obwohl Betty Rieckmanns Between Clouds ein Lichtkunstwerk ist, besitzt es dadurch zugleich die Eigenschaften eines Gemäldes: Die Bewegung und die Komposition verleihen den Werken die Fähigkeit, einen Tiefenraum zu schaffen und dem/der BetrachterIn eine neue Welt oder Dimension zu eröffnen.

 

Alina Kehl

Olga Schulz

Grüne Soße Denkmal, 2007

Fotos: Luis Sütter

7-teilige Installation

am Rande der Kräuterfelder

Kochstraße Ecke Speckgasse / Oberrad

Tram Bleiweißstraße

leuchtet mit Beginn der Dämmerung für circa eine Stunde

Wie der Apfelwein und der Handkäse gehört auch die Grüne Soße zu den Spezialitäten der Frankfurter Küche. Ihre Hauptzutat, die sieben Kräuter Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer, Schnittlauch, Gartenkresse, Kerbel und Borretsch werden seit Generationen auf den Feldern im Stadtteil Oberrad angebaut. Sie sind auch die Hauptprotagonisten des Grüne Soße Denkmals, das 2007 am Rande der Kräuterfelder errichtet wurde.

Parallel zur letzten Häuserzeile der Speckgasse, bereits als Teil der Regionalparkroute und des Frankfurter Grüngürtels, stehen in Reih und Glied sieben kleine stilisierte Gewächshäuser. Die transparenten Polycarbonat-Aufbauten jedes Häuschens sind in unterschiedlichen Grüntönen gefärbt. Sie geben den Blick frei auf eine ebenfalls jeweils in unterschiedlichem Grün gehaltene Bodenplatte, auf der in Großbuchstaben der Name eines Krautes zu lesen ist. Der gewählte Grünton der Polycarbonat- und Bodenplatte ist dabei vom Farbton des entsprechenden Krautes inspiriert. Mit Einbruch der Dunkelheit sind die sieben Installationen für rund eine Stunde durch eine in ihrem Dach angebrachte Leuchtröhre illuminiert, wodurch der Variationsreichtum der Farben von Gelb- bis Blaugrün besonders gut sichtbar wird und sich der gesamte Innenraum mit der Farbessenz der Kräuter zu füllen scheint.

Großes lokales Engagement

Der Entwurf des Grüne Soße Denkmals stammt von der Frankfurter Künstlerin Olga Schulz, die zum Zeitpunkt der Entstehung noch an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung (HfG) studierte. Geplant und umgesetzt wurde ihr Entwurf von der Projektgruppe GrünGürtel der Stadt Frankfurt; die finanziellen Mittel hierfür wurden von der Regionalpark Rhein Main Südwest und dem Fraport Umweltfonds bereit gestellt. Als lokale Kooperationspartner waren der Verein zum Schutz der Grünen Soße, der Oberräder Heimat- und Geschichtsverein 2005 und der Oberräder Bürgerverein mit an Bord. Dieses breite Engagement mag andeuten, welch große Bedeutung der Verwirklichung des Denkmals beigemessen wurde.

In der Tat ist die Positionierung genau an diesem Ort mit Bedacht gewählt. Er ist nicht nur der Ort, an dem der Gegenstand, dem das Denkmal gewidmet ist, auch tatsächlich wächst, sondern auch einer der flächenmäßig grünsten Stadtteile Frankfurts – das „Gärtnerdorf“ wird er auch genannt. Doch die Stadt wächst; der Flächenfraß und mit ihm die Angst vor dem Verschwinden der Felder und Gärtnereibetriebe sind auch hier ein Thema[1]. Dementsprechend liest sich auch die Ankündigung der HfG Offenbach zur Eröffnung des Denkmals: „Ein Stück Land, das der wachsenden Skyline, der Autobahn und den vielen Flugzeugen, die den Himmel durchkreuzen, zum Trotz, seit Jahrhunderten dem Rhythmus der Pflanzen folgt. In der Dämmerung verwandeln sich die Gewächshäuser in leuchtende Smaragde, die ans Licht bringen, was für ein Schmuckstück dieser Ort für seine Stadt ist.“[2]

Referenzen an Duchamps und die Konzeptkunst

Lenkt man den Blick zurück auf das Denkmal selbst, lassen sich für die künstlerische Strategie von Olga Schulz zwei Referenzpunkte ausmachen. Zum einen hebt sie mit den einzelnen Kräutern und der Grüne Soße als „Endprodukt“ durchweg profane Dinge auf den – zugegebenermaßen niedrigen – Sockel und präsentiert sie wie in einer Museumsvitrine als Kostbarkeiten. Dies erinnert an Marcel Duchamps Readymades, bei denen ein Alltagsgegenstand – etwa ein Flaschentrockner – nur durch den bloßen Akt der Auswahl und Signatur durch einen Künstler zum Kunstwerk geadelt werden, ohne dass es einer künstlerischen, handwerklichen oder kreativen Gestaltung und der Hinzufügung einer eigenen „Handschrift“ bedarf.[3] Damit verweist Duchamp darauf, dass es wesentlich vom Kontext abhängt, ob man ein Ding als Kunst oder etwas anderes wahrnimmt. Ein Urinal ist im Badezimmer ein Urinal, in einer Galerie aber vielleicht ein Fountain (Brunnen). Bei Olga Schulz‘ Konzept mag allerdings noch eine Facette hinzukommen: Der Akt, solch kleinen, unbedeutenden Kräutern eine Bühne zu bereiten, ist eine Huldigung dessen, was der Boden für uns wachsen lässt – sei es vor dem Hintergrund der Lebensmittelverschwendung, dem Zustand der Welternährung oder der Bewahrung von kulinarischer Tradition und damit auch eines Stückes lokaler Kulturgeschichte.

Zum anderen arbeitet Schulz nicht mit den Kräutern selbst, sondern mit ihrer Repräsentation als Wort bzw. Schrift. Die Frage nach der Erscheinungsform und der Implikation der gewählten Erscheinungsform stellte sich explizit erstmals der amerikanische Konzeptkünstler Joseph Kosuth. In One and Three Chairs von 1965 stellte er einen Stuhl, ein Foto des Stuhles und eine Texttafel mit der lexikalischen Definition von „Stuhl“ nebeneinander. Neben dem Diskurs, ob eine solche Zusammenstellung Kunst sein kann, zielt die Arbeit auch auf die Auseinandersetzung mit der Frage, welche der drei Repräsentationsformen die geeignetste sein mag. Sprache wurde in der Konzeptkunst zu einem wichtigen Medium, da für die Protagonisten der Strömung die Idee von einem Ding oder für ein Werk bedeutsamer ist als seine visuelle Form oder Ausführung[4]. Was das Denkmal beschreibt ist also die Idee der grünen Soße, die Vorstellung von ihr  – die bei jedem ein bisschen anders sein mag, aber stets durch die Kräuternamen und Farben getriggert wird.

Das Grüne Soße Denkmal gehört mittlerweile zu den erfreulichen Beispielen von Kunst im öffentlichen Raum. Es liegt in der Verantwortung des Umweltamtes der Stadt Frankfurt, das es regelmäßig warten und pflegen lässt. 2018 wurde das Denkmal, das sich damals in einem traurigen Zustand befand, unter Beteiligung von Olga Schulz komplett saniert.

 

Heike Sütter

Weitere skulpturale Lichtkunstwerke:

Christian Herdeg, Synergie, 1997, Platz der Einheit / Gallus

Via Lewandowsky, Grazien, 2020, Knorr-Quartier, Knorrstraße / Gallus

 

 

[1] vgl. Christoph Manus: In Frankfurt tobt der Kampf um die Grundstücke, in: Frankfurter Rundschau, 29.08.2019, abgerufen unter https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-hessen-frankfurt-tobt-kampf-grundstuecke-zr-12953207.html  am 9. März 2021

[2] https://www.hfg-offenbach.de/de/news/denkmal-fuer-die-gruene-sosse-in-oberrad#news, abgerufen 8.März 2021

[3] vgl. Marcel Duchamp: Der Fall Richard Mutt, in: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd 1 (Hrsg. Harrison, C./ Wood, P./ Zeidler, S), Ostfildern-Ruit 1998, S. 295

[4] Vgl. Joseph Kosuth: Kunst nach der Philosophie, in: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd 2 (Hrsg. Harrison, C./ Wood, P./ Zeidler, S), Ostfildern-Ruit 1998, S.1029-1039, hier S. 1029

Jochen Siegemund, Felix Grauer, Vitali Lukin 

EnergyStation, 2014

Foto links: Luis Sütter, Foto rechts (ursprünglicher Zustand): Mainova AG

Mainova AG Umspannwerk Osthafenplatz

Osthafenplatz 1 / Ostend

U, Tram Ostbahnhof / Honsellstraße

EnergyStation ist ein Lichtkunstobjekt an der Fassade des Umspannwerkes der Mainova AG am Frankfurter Osthafen. Ein Netz aus blauen und roten Adern überzieht einen Teil der Gebäudefassade und leitet auf das Logo der Mainova AG über. Lichtinstallation und Firmenlogo verbindet weiterhin die Farbigkeit, haben sich doch die Schöpfer des Werkes bei der Farbwahl offenkundig an den Firmenfarben der Mainova AG orientiert.

Die Installation entwickelt hat der Architekt Jochen Siegemund gemeinsam mit Felix Grauer und Vitali Lukin von der FH Köln. Dort leitet Siegemund das Cologne Institute of Architectural Design und befaßt sich mit dem Forschungsschwerpunkt Corporate Architecture.

Energieeffiziente LEDs für den Energieversorger

Die Mainova AG ist am Zustandekommen der Arbeit maßgeblich beteiligt. Zwischen 2012 und 2016 hat sie für verschiedene ihrer Liegenschaften Auftragsarbeiten für KünstlerInnen ausgeschrieben, die jeweils zur Luminale realisiert wurden. Ursprünglich überkragte das Licht-Netzwerk eine Gebäudeecke und war so deutlich als dreidimensionale Struktur vorstellbar. Mit der Bebauung des Nachbargrundstücks, das sich direkt an die Fassade des Umspannwerks anschließt, entfiel die Eckansichtigkeit und die Arbeit wurde auf eine Fassadenfläche umpositioniert. Dem fielen leider die Paßgenauigkeit der LED-Lichtstreifen am unteren Ende sowie die formale Geschlossenheit der Installation zum Opfer.

Die Themenvorgabe der Ausschreibungen korrespondiert mit der Ausrichtung des Energieversorgers und stellte 2014 Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in den Fokus. Mit ihrem Entwurf für das Umspannwerk Osthafen reagierten Siegemund, Grauer und Lukin darauf zunächst einmal mit der Wahl des Mediums – das Netzwerk ist aus auf die Fassade aufgesetzte LED-Lichtstreifen gebildet. LEDs gehören zu den zur Zeit energieeffizientesten Lichttechnologien, die darüber hinaus eine lange Lebensdauer, geringe Ein- bzw. Aufbautiefe und einen geringeren Wartungsaufwand besitzen. Unter der Vorgabe von energieeffizienten Leuchtmitteln nimmt die LED mittlerweile bei der Allgemeinbeleuchtung eine beherrschende Stellung ein. Auch im künstlerischen und gestalterischen Bereich ersetzt sie zunehmend traditionelle Medien wie Neon- und Leuchtstoffröhre, was auch ihrer Möglichkeit der recht einfachen digitalen Farbsteuerbarkeit geschuldet ist.

Netzwerke – im Körper und in der Stadt

Die Lichtarbeit liefert eine stilisierte Abbildung des elektrischen Versorgungsnetzes, das mit den Farben Blau und Rot auf die unterschiedlichen Spannungsebenen reagiert, die in einem Stromhaushalt vorhanden und vor allem aufeinander abzustimmen sind. Siegemund, Grauer und Lukin rekurrieren auf die beiden vorherrschenden Tendenzen im Stromnetz, nämlich die zunächst vom überregionalen auf das regionale Netz umgeleitete Spannung, die vom städtischen Umspannwerk soweit reguliert wird, dass sie für den Endverbraucher geeignet ist. Ist die im Stromnetz vorhandene Hochspannungs-Energie durch das Rot im Lichtnetz angedeutet, so suggerieren die blauen Adern eine „Entspannung“. Offenkundig hat die Assoziation von „warmem“ und „kaltem“ Strom – und damit der Hinweis auf die Transformation der Spannungsebenen hin zu einem energieeffizienten Strom – die Jury überzeugt und die Vorgaben sinnfällig angedeutet.

Auf einer assoziativen Ebene lässt sich die rote und blaue Farbwahl der LED-Streifen auch als Analogie zu Adern und Venen lesen und verweist so auf den menschlichen Organismus als Netzwerk. So, wie wir in unserem Körper „Versorgungsleitungen“ benötigen, brauchen wir Strom, Energie und Wärme auch im städtischen Organismus.

Nocturnal Branding

Die durch solche Assoziationen bereitgestellte Symbolik unterstreicht – allein schon über die Farbigkeit – den Anspruch der Mainova, sich als effizienter, nachhaltiger und verantwortungsbewusst „sorgender“ Energieanbieter zu positionieren. Die Arbeit greift damit zum einen auf die Tradition der Lichtwerbeanlagen zurück, die schon um die Wende zum 20. Jahrhundert Gebäude markierten. Zum anderen geht sie aber in Gestaltung und Anspruch über eine reine Werbebotschaft hinaus. Hierfür hat Thomas Schielke den treffenden Begriff des „nocturnal branding“[1] geprägt, der auf eine komplexere, mehrdimensionale Markenerfahrung durch Licht abhebt. Anstelle des expliziten Zeichens (etwa des Logos) tritt eine implizite Symbolik, die die Corporate Identity auf mehreren Ebenen anspricht. In EnergyStation steht beides nebeneinander, formiert aber insbesondere bei Dunkelheit eine Einheit.

 

Viola Hildebrand-Schat / Heike Sütter

 

Weitere Arbeiten an Gebäuden der Mainova:

Katharina Berndt, Ins Licht gerückt, 2012, Mainova AG Heizkraftwerk Mitte, Konstablerwache Ecke Allerheiligenstraße / Innenstadt

Lichtplan Robin Uber, Bauhaus „goes“ Mondrian, 2016, Mainova AG Umspannwerk Lübecker Straße Ecke Eschersheimer Landstraße, Eschersheimer Landstraße 147 / Westend

 

[1] Thomas Schielke. Light, Architecture and Branding. In: Davina Jackson, Mary-Ann Kyriakou (Hg.): SuperLux: Smart Light Art, Design and Architecture for Cities, London 2015, S. 96 – 103, hier S.96.

 

Barbara Trautmann

CROSSOVER, 2014

 

© beide Abbildungen: Barbara Trautmann und Messe Frankfurt, Fotos: Wolfgang Günzel

Lichtobjekt aus 101 handgefertigen Leuchtstoffröhren in elf hintereinanderliegenden Ebenen, Breite 1170 cm, Höhe 2000 cm, Tiefe 300 cm

Kap Europa Congress Center Messe Frankfurt, Foyer

Osloer Straße 5 / Gallus

U, Tram Festhalle / Messe

 

Die von Barbara Trautmann für das Kongressgebäude Kap Europa der Messe Frankfurt ausgeführte Lichtinstallation CROSSOVER gleicht einer aus einzelnen Leuchtelementen geschaffenen dreidimensionalen Raumzeichnung, die sich über vier Etagen im Eingangs- und Aufgangsbereichs des Gebäudes erstreckt und entsprechend unterschiedliche Ansichten bietet. Tatsächlich besteht das Objekt aus 101 je zwei Meter langen Glasröhren, die nach einem austarierten System mit Stahlseilen von der Decke abgehängt sind. Dabei ergeben sich unter unterschiedlichen Blickwinkeln unterschiedliche Ansichten, was die komplexe Räumlichkeit der Installation untermauert. Der scheinbar parallel zur Fassade des Gebäudes hin ausgerichtete Verlauf der Glasröhren zeigt sich von der Rolltreppenfront durch geringfügige Verwinkelungen aus dem Gefüge gebracht, zudem die Gleichförmigkeit der Ordnung gebrochen. Diese Schrägstellung wird vor allem von einem Blickpunkt aus sichtbar, der sich den BesucherInnen bietet, wenn sie auf die Rolltreppen zugehen oder auf einer der Etagen an der Brüstung auf die Arbeit blicken. Der Eindruck ist beabsichtigt und von der Künstlerin auf die vorgefundene Raumsituation hin abgestimmt.

CROSSOVER ist auf den relativ schmalen Raum hin konzipiert, der zwischen der gläsernen Außenfassade des Gebäudes und den vom Erdgeschoss nach oben und unten laufenden Rolltreppen entsteht. Mit der Ordnung und Ausrichtung der Glasröhren reagiert die Künstlerin auf den als Zick-Zack-Bewegung beschriebenen Verlauf der Rolltreppen – dem dominantesten Element der Gebäudearchitektur. Die Zick-Zack-Form der Lichtinstallation ist dabei leicht nach oben verschoben, so dass sich Rolltreppenkörper und Linienbündel der Lichtinstallation kreuzen. Sie greift damit nicht nur die versetzte Auf- und Abwärtsbewegung der architektonischen Raumstruktur auf, sondern auch den Strom der BesucherInnen, die sich auf den Rolltreppen in die einzelnen Etagen bewegen.

Für die Anordnung der Installation nutzt Barbara Trautmann den verfügbaren Raum fast komplett aus. Die 101 Leuchtelemente hat sie auf insgesamt elf vertikal hintereinander liegenden und die Raumtiefe erschließenden Ebenen angeordnet; jede Ebene erstreckt sich dabei über alle Etagen des Gebäudes in die Höhe.

Komplexes Hängekonzept

Aus der Konzeptionsskizze der Künstlerin wird zudem ersichtlich, dass die Hängung einem austarierten System folgt, bei der zwei bis drei Röhren an einem Drahtsteilstrang untereinander zu hängen kommen, jedoch jeweils nicht waagerecht, sondern leicht winklig versetzt. Außerdem hat Trautmann bereits in der Konzeptionsphase einzelne Röhren aus dem Gesamtbild gelöscht und, damit keine zu homogene Anordnung und klarer Rhythmus entsteht, so gezielt „Löcher“ bzw. Lücken eingeplant.

Das Hängekonzept eint das gleichförmige Licht. Alle Röhren werden von einem neutralen weißen Licht beleuchtet, dass unabhängig von den Lichtverhältnissen im Innen- und Außenraum über die gesamte Zeit hin unverändert bleibt. Mit der Konstanz der Beleuchtung fügt sich die Lichtinstallation der Funktion des Gebäudes, das als Kongresszentrum Tag und Nacht zugänglich ist. Entbunden von funktionalen Aufgaben, demonstriert die Lichtinstallation ihre Eigenständigkeit als Kunstwerk.

Spiel mit der Minimal Art

Auf den ersten Blick erinnert Trautmanns Installation an die Konzepte der Minimal Art. Typisch für diese Strömung, die ihren Ausgang in den 1960er Jahren nahm, ist die Verwendung von industriell gefertigten Materialien oder Massenprodukten, der modulare Charakter der Werke und die serielle Anordnung ihrer Elemente. Auch die raumgreifende Dimension, die Ausrichtung auf die vorgefundenen räumlichen Gegebenheiten und die oftmals explizite Einbindung des/der BetrachterIn sind Aspekte dieser Strömung. Ebenfalls ergeben sich starke Assoziationen zur sich etwa zeitgleich in Paris formierenden Groupe de Recherche d’Art Visuel (GRAV), deren Ausgangspunkte elektrisches Licht, geometrische Formen und ebenfalls industrielle Materialien sind.  Zu ihren prominentesten Vertretern gehören François Morellet und Julio le Parc. Die Idee eines Systems, das auf eine handwerkliche Ausübung und damit künstlerische Handschrift verzichtet, teilt dieser Kreis mit der Minimal Art.

Bei näherer Analyse jedoch erweist sich CROSSOVER in seiner Ausführung wie auch in seiner Inbetriebnahme als höchst artifiziell. Sämtliche Glasröhren sind handgefertigt, und mit ihrer Länge von zwei Metern entziehen sie sich den handelsüblichen Maßen. Zudem sind alle Glasröhren individuell mit einem Leuchtstoff befüllt, der über parallel zu den Stahlseilen verlaufende, kaum sichtbare Versorgungskabel mit Strom aktiviert wird. Da sich im Laufe der Zeit das Leuchtgas verbraucht, müssen die Röhren von Zeit zu Zeit neu befüllt werden. Zu diesem Zweck wird das unter der Decke montierte Gitterraster, das die Gesamtkonstruktion hält, mittels Motoren auf den Boden abgesenkt.

Trautmann setzt also den von industrieller Massenproduktion ausgehenden Konzepten in jeder Hinsicht Individualität entgegen. Bestand ein Anliegen der Minimalisten darin, aus einer seriellen Vorfertigung modulare Systeme zu künstlerischen Konzeptionen fortzuentwickeln, also die Möglichkeiten massenhaft produzierter Gleichförmigkeit auszureizen, rekurriert Trautmann auf tradierte Praktiken der Handwerkskunst. Dabei sucht sie gleichzeitig die individuelle Handschrift mit der Perfektion gleichzusetzen, die durch hochtechnologisierte Verfahren möglich geworden sind. Die für CROSSOVER verwendeten Glasröhren sind vollkommen gleich und unterscheiden sich untereinander ebenso wenig wie industriell gefertigte Leuchtstoffröhren. Wie bei der Hängung die leichte Brechung in der Parallelausrichtung der Röhren im Einzelnen nicht sichtbar, sondern erst im Gesamteindruck deutlich wird, so tritt auch die Handfertigung der Einzelteile nicht offenkundig hervor, nimmt aber Einfluss auf den Wert des Werkes. Mit der Entscheidung für eine Handfertigung der einzelnen Glasröhren unterstreicht Trautmann die Wertigkeit ihres Werkes, vor allem aber grenzt sie sich gegen industriell vorgefertigte Elemente ab, wie sie von den Künstlern der Minimal Art in modularen Systemen verarbeitet wurden.

Raum und Fläche, Ordnung und Unordnung

Schließlich ist CROSSOVER nicht einfach als architektonischer Kommentar konzipiert, so sehr die Künstlerin auch ihre Installation auf die Raumverhältnisse des Kongressgebäudes hin abgestimmt hat. Vielmehr soll die Installation weitergreifende Bezüge aufgreifen und Assoziationen freisetzen, die über den Raumbezug hinausgehen. Auf den Bezug zur Bewegung, die durch die Besucher im Gebäude entsteht, wurde bereits hingewiesen. Vielleicht lässt sich der Aspekt der Bewegung aber auch auf die Idee eines Lichtstroms, Impulses oder des Lichts an sich beziehen, das physikalisch gesehen als elektromagnetische Welle (Bewegung) vorzustellen ist. Die für das menschliche Auge nicht sichtbaren Spannungen, die aus einem Zusammenspiel physikalischer und chemischer Prozesse resultieren, sind von weitreichender Wirkung. So treibt CROSSOVER das mit den Rolltreppen im Gebäude vorgegebenen Auf- und Abgleiten nicht nur voran, sondern verbindet sich vielmehr mit einem zugleich statischen Lichtraum, der sich gleichsam als Ruhepuls dem Raum überspült. So widersprüchlich die Kombination aus Bewegung und Ruhe erscheint, ist sie doch dem Werk eigen. Sie lässt sich aus der scheinbar ebenso widersprüchlichen Konzeption heraus begründen, die den Eindruck von Gleichförmigkeit durch kaum merkliches dem Lot Zuwiderhandeln irritiert, also die parallele Anordnung der Leuchtstoffröhren stellenweise auflöst, indem einzelne Röhren in die Diagonale ausweichen. Als historische Referenz drängen sich die von El Lissitzky als „Umsteigestation zwischen Architektur und Malerei“ beschriebenen Proune auf – scheinbar raumlos auf der Fläche schwebende Rechtecke, die indifferent zwischen Architekturbezug und Flächigkeit verharren. In ihrer die Rhythmik strenger Konzeption unterlaufenden Ausrichtungen zeigen sich aber auch Parallelen zur künstlerischen Strategie von François Morellets. Von ihm stammt das Zitat: „Ich liebe die Geometrie, aber noch lieber werfe ich sie über den Haufen.“ [1] 

Weitere Arbeit an der Uniklinik

CROSSOVER ist nicht die einzige Arbeit von Barbara Trautmann im Stadtraum Frankfurt. Im Foyer des Klinikums der Johann Wolfgang Goethe-Universität ist mit PIROUETTE ein weiteres ihrer Lichtkunstwerke zu sehen, dass in ähnlicher Weise eine aus Leuchtstoffröhren gebildete Raumzeichnung beschreibt, die sich jedoch nicht in der Vertikalen, sondern in der Horizontalen erstreckt und eine gänzlich andere Anmutung erzielt.

Die an der Hochschule Pforzheim als Grafikdesignerin und Raumgestalterin ausgebildete Künstlerin trat erstmals 2002 mit einer architekturbezogenen Arbeit für die Landeszentralbank Baden-Württemberg in Karlsruhe hervor. Weitere Objekte folgten für den Bahnhof Rolandseck, verschiedene Einrichtungen in Berlin sowie eine Arbeit für Taipeh/ Taiwan. Für ihre Arbeiten greift Trautmann bevorzugt auf handgefertigte Glasröhren als einen gleichförmigen Bausatz für ein modulares Konzept zurück. Jeweils raumbezogen, also in genauer Abstimmung mit den vorgefundenen Situationen erstellt sie teils rhythmische, teils chaotisch geordnete Systeme, die bei aller Unterschiedlichkeit ein nach klaren geometrischen Prinzipien ausgerichtetes Konzept eint. Der Eindruck von Chaos wird durch gezielte Eingriffe in die Struktur erzielt, ist aber niemals vom Zufall geleitet, sondern immer konzeptuell verankert.

 

Viola Hildebrand-Schat / Heike Sütter

 

Weitere Arbeiten von Barbara Trautmann:

Barbara Trautmann, PIROUETTE, 2007, Universitätsklinikum Frankfurt Haupteingang, Theodor-Stern-Kai 7 / Sachsenhausen

 

[1] Zitiert nach Heid, Birgitta: S. 187 Dan Flavins installations in fluorescent light im Kontext der Minimal-Art und der Kunstlicht-Kunst [Elektronische Ressource], 2004, S. 187.

Barbara Trautmann

PIROUETTE, 2007

 

© beide Abbildungen: Barbara Trautmann, Fotos: Wolfgang Günzel

Lichtskulptur aus 93 Leuchtstoffröhren, ø 275 cm, Länge 2600 cm

Universitätsklinikum Frankfurt, Haupteingang

Theodor-Stern-Kai 7 / Sachsenhausen

Tram Universitätsklinikum

zur Zeit nur von außen zu betrachten

 

Die 2007 im Foyer des Universitätsklinikums in Frankfurt am Main installierte PIROUETTE gehört zu den frühen architekturbezogenen Arbeiten Trautmanns. Die aus 93 Neonröhren gefertigte Installation erweckt den Eindruck einer sich durch das Foyer windenden Lichtspirale. Tatsächlich aber besteht das Werk aus einzelnen Leuchtröhren, die nach einer präzisen von der Künstlerin entwickelten Konzeption in einen auf den Raum hin ausgerichteten Zusammenhang gebracht wurden. Ziel war es, einerseits die gegebene Architektur aufzugreifen, andererseits auf die Funktion der Institution zu reagieren. Das fast vollständig aus Glas errichtete Foyer verbindet den Forschungstrakt des Uniklinikums mit den Untersuchungs- und Bettenabteilungen und wird neben Klinikpersonal, StudentInnen und Patienten auch von BesucherInnen frequentiert. So greift die in die Horizontale gestreckte Ausdehnung der PIROUETTE eine Bewegung auf, wie sie für Durchgangssituation als charakteristisch erachtet werden kann.

Bewegung im Raum

Solche die Funktion des Raumes in der gestaltenden Form aufgreifende Konzeption ist wesentlich für die Architektur bezogene Skulptur und hat in dem von Le Corbusier entwickelten, als Modulator bezeichneten Modell einen ihrer wohl prominentesten Vorläufer. Le Corbusier fasste darunter ein die Bewegung des Menschen aufgreifende Form. In seinem die eigenen Ansprüche an die Architektur interpretierenden Gedicht Le poème de l’angle droit (Gedicht vom rechten Winkel) beschreibt er den Modulator als eine Spirale, die in ihren Dimensionen auf den Menschen abgestimmt ihn in Relation zum umgebenden Raum setzen soll. Der in diesem Zusammenhang bekundete Gedanke, den Mensch als Maß aller Dinge zu nehmen, findet sich nun auch in Trautmanns Konzept wieder.

Über den konkreten Raumbezug hinaus nimmt sie mit der Form von PIROUTTE weiterhin Bezug auf zentrale Bausteine des menschlichen Organismus. In ihrer Gesamterscheinung vergleicht sie PIROUETTE mit der Doppelhelix der DNA, aber auch einer Wirbelsäule, deren Funktion als Rückgrat geradezu sprichwörtlich geworden ist. Beide von der Künstlerin aufgebrachten Assoziationen greifen zugleich den Kontext auf, sie sie doch geradezu paradigmatisch für die medizinische Forschung. Gleichzeitig liegt in der DNA die Individualität des Menschen begründet, bildet gewissermaßen dessen Zentrum oder auch dessen Rückgrat. Die Künstlerin führt diese Vorstellung auf den Menschen zurück, den sie als gemeinsamen Mittelpunkt der im Klinikum zusammengeführten Funktionseinheiten sieht und dessen zentralen Stellenwert sie symbolisch über die Konzeption ihres Werkes aufgreift.

Dreieck als Grundform und Sinnbild

Die drei im Universitätsklinikum vereinten Komplexe Forschen, Lehren und medizinische Behandlung visualisiert Trautmann über die ihrer Lichtskulptur zugrunde gelegten Basiselemente, deren wesentliches ein gleichschenkliges Dreieck ist. Jedem der Bereiche ordnete sie einen Schenkel des Dreiecks zu, wobei jedoch in der Ausführung die aus einzelnen Leuchtröhren gebildeten Seiten unverbunden bleiben. Zwar sind sie sämtlich auf einer Höhe, jedoch hintereinander versetzt in einer Vertikalen angeordnet an je zwei Stahlseilen von der Decke abgehängt. Dabei formieren drei aufeinanderfolgende Röhren ein Dreieck, dessen einzelne Seiten, weil sie nicht auf einer Fläche liegen, eine räumliche Ausdehnung der Form andeuten. Diesem Prinzip folgend sind alle 93 Röhren gehängt, so dass im Gesamterscheinungsbild 31 leicht gegeneinander gedrehte Dreiecke hintereinander zu liegen kommen. Als Fixpunkt für die Versetzung dient eine im Zentrum der Dreiecke angenommene Achse, um die die Elemente jeweils um 4 Grad im Uhrzeigersinn gedreht werden. Bezöge man einen Blickpunkt, dessen Zentrum mit der Achse der Dreiecke zusammenfiele, würde man in der Ordnung der hintereinander liegenden Dreiecke eine Rosettenform erkennen. Die in die Länge gestreckte Rosette wiederum ergibt jene Spiralform, die bereits außerhalb des Foyers zu sehen ist und die vom Standpunkt abhängig immer wieder unterschiedliche Ansichten liefert. Aus unmittelbarer Nähe treten die einzelnen Röhren mit ihren Hängungen in den Vordergrund, so dass sich den BetrachterInnen der Eindruck eines sich über die Raumflucht ausbreitenden Mobiles bietet. In der räumlichen Ausdehnung wird wiederum deutlich, dass die als Konstruktionsform zugrunde gelegten Dreiecke weder einen Flächenbezug aufweisen noch die einzelnen Röhren einander berührten.

Die Ordnung der schwebenden Formen ist durch ein festes Raster in der Deckenkonstruktion gesichert, das aber selbst nicht dominant in Erscheinung tritt. Zur Stabilisierung der Gesamtform hat die Künstlerin weiterhin jede Röhre mit einem transparenten Ringhalter versehen, der es ermöglicht, die einzelnen Röhren miteinander zu verbinden.

Raumzeichnungen nach Plan

Der Konzeption der Arbeit liegt ein ebenso strukturierter, nach einzelnen Montageschritten festgelegter Plan zugrunde, wie er für das Vorgehen von Trautmann charakteristisch ist. Die Anordnung jedes einzelnen Elementes ist ebenso festgelegt wie das Verhältnis der einzelnen Elemente zueinander. PIROUETTE ist wie CROSSOVER im Kongressgebäude Kap Europa an der Messe auf den Raum bezogen und auf die vorhandene Architektur abgestimmt. Dabei treten Licht und Glas zueinander in Beziehung. Die durch die großen Glasfronten wie transparent erscheinenden Gebäude bedingen die Vielansichtigkeit der Lichtskulpturen, die ihrerseits sich unter den wechselnden Blickpunkten zu verändern scheinen. Auch wenn Trautmanns Lichtskulpturen ausdrücklich mit einem homogenen weißen Licht versehen in sich ruhen, bieten sie doch in Korrespondenz mit ihrer Umgebung ein Höchstmaß an Vielfalt.

In jedem Fall erfolgt die technische Ausführung der von der Künstlerin als Lichtzeichnungen bezeichneten Installationen mit Produktionsbetrieben, die über Erfahrung bei umfangreichen Beleuchtungsprojekten verfügen. Die Leuchtröhren sind so konzipiert, dass das in ihnen enthaltene Leuchtgas nachfüllt werden kann. Ausgerichtet sind die Neonröhren auf rund 15.000 Brennstunden, was bei einer Inbetriebnahme von zehn Stunden täglich eine Gesamtleuchtzeit von gut vier Jahren in Aussicht stellt.

 

Viola Hildebrand-Schat

 

Weitere Arbeiten von Barbara Trautmann:

Barbara Trautmann, CROSSOVER, 2014, Kap Europa Congress Center Messe Frankfurt Foyer, ga02

James Turrell

Light Shaft II, 2003

 

Foto: Wolfgang Günzel

RGB-Leuchtmittel in rot, grün, blau und weiß, begehbarer Glasboden, Lichtsteuerung, werkspezifische Software

Gallileo

Gallusanlage 7 / Innenstadt 

U, Tram Willy-Brandt-Platz

nicht mehr in Betrieb 

Mit der Installation von Light Shaft II im 2003 fertiggestellten Gallileo wurde die Frankfurter Lichtkunstlandschaft um einen echten, jedoch eher ungewöhnlichen James Turrell im öffentlichen Raum reicher. Der Werktitel und die Installation selbst suggerieren einen Lichtschacht im Liftschacht, die römische II im Werknamen kann als eine begriffliche und wortmalerische Ergänzung des Lichtkunstobjektes gesehen werden, die Turrells Auffassung Nachdruck verleihen soll, dass es sich nicht um ein (Licht-) Objekt, sondern eine (Licht-) Erfahrung handelt. Denn Light Shaft II ist eine an zwei verschiedenen Orten installierte Arbeit, deren beiden Teile zwar in unmittelbarer Nähe, aber doch getrennt voneinander bestehen und durch eine werkspezifische Software miteinander korrespondieren.  Die Hauptinstallation befindet sich im Gallileo, ein Hochhaus im Frankfurter Bankenviertel am Übergang zum Frankfurter Bahnhofsviertel. Auf jeder der 36 Etagen des Gebäudes ließ der Künstler für diese Auftragsarbeit der vormals Dresdner Bank (jetzt Commerzbank) in der Liftlobby je 4×7 satinierte Glasplatten in den Boden einlassen. Unter ihnen liegen rote, grüne, blaue und weiße Neonröhren, deren Lichtfarbe, durch eine Software gesteuert, sich in bestimmten Zeitrhythmen verändert. Durch die Reflexion des Bodenlichtes an der Etagendecke entsteht so der für Turrell typischer „Lichtraum“.  Aufgrund seiner raumgreifenden Wirkung liefert das Werk nicht nur ein Seherlebnis, sondern vereinnahmt diesen förmlich, lässt ihn selbst Teil des Lichtereignisses werden.

Zwei gekoppelte Installationen

Die vom Künstler vorgegebene Farbabfolge der Hauptinstallation von Light Shaft II ist an die Fahrstuhlfassade des Nebengebäudes (Silberturm) gekoppelt, welche die Lichtchoreografie aufgreift und ein dynamisches Zusammenspiel beider Lichtinstallationen generiert. Von außen betrachtet ergibt sich so eine harmonische Verbundenheit der zwei Standorte, wobei jede einzelne erleuchtete Etage sich als ein Teilstück in das große Gesamtbild einfügt und das ästhetische Erlebnis vervollständigt.

Ungewöhnlich oder außergewöhnlich ist Light Shaft II deshalb, da Turrells Werke für gewöhnlich im musealen Raum oder in Galerien präsentiert oder das Werk selbst die Architektur ist, wie beispielsweise bei seinen Sky Spaces oder seinem Lebensprojekt Roden Crater in der Wüste von Arizona. Bislang zeigt Turrell ortsspezifische Installationen in 25 Ländern und praktisch ausschließlich außerhalb von Großstädten. Ein Werk in einem öffentlichen Gebäude inmitten des Stadtzentrums ist neu und fällt aus dem Rahmen des Oeuvres von Turrell.

Bekanntester lebender Lichtkünstler

Turrell ist einer der bekanntesten, wenn nicht sogar der bekannteste Lichtkünstler unserer Zeit. Aufgewachsen in einer dem Quäkertum angehörenden Familie, die bewusst auf Elektrizität und andere moderne technische Einrichtungen verzichtete, beschäftigt Turrell sich schon früh mit dem Thema Licht und Lichtkunst. Zusammen mit anderen Künstlern der Light and Space Kunstbewegung in Verbindung mit dem Art & Technology Programm der University of California und dem Los Angeles County Museum (LACMA) untersuchte Turrell als Forschungsprojekt den sogenannten Ganzfeld-Effekt. Ihm hat er mit seinen als Ganzfeld bezeichneten Arbeiten eine ganze Werkserie gewidmet. Bei diesen Arbeiten provoziert Turrell einen Orientierungsverlust, indem er durch die Lichtintensität und die Positionierung der Lichtquelle dem Betrachtenden die Anhaltspunkte für die Raumwahrnehmung entzieht. Der Effekt ist dem von einem White Out bei großen Schneefeldern, von dichtem Nebel oder dem beim Fliegen durch dicke Wolkenschichten ähnlich.

In Light Shaft II vereint Turrell weiterhin einige weitere Charakteristika der Light and Space Bewegung, so beispielsweise das Einbetten von künstlich erzeugtem Licht in die Architektur. Im konkreten Fall des Gallileo ist es die Innenarchitektur. Sie wird durch das Licht von außen einsehbar. Die Außenwirkung wird weiterhin gestützt durch die Verwendung von transparenten oder reflektierenden Materialien.

Ausgeprägter Architekturbezug – und leider außer Betrieb!

Somit bildet Light Shaft II einen den Ganzfeld Pieces, Dark Spaces oder Architectual Pieces vergleichbaren Lichtraum, jedoch von diesen unterschieden durch den ausgeprägten Architekturbezug. Das Frankfurter Werk ist statisch und transitiv zugleich; durch seine dauerhafte, an die Architektur des Gebäudes gekoppelte Installation bekommt es einen statisch anmutenden Charakter. Transitiv wird es im Wesen, wenn es seine Farbe ändert und auch dadurch, dass der Mensch, der sich in dem Werk bewegt, als Teil des Werkes zu betrachten ist. Die Erfahrungs- und Wahrnehmungsweisen von Licht und anderen sinnlichen Erfahrungen stehen seit jeher im Zentrum von Turrells Werk. Des Künstlers Ziel, mit seinen Arbeiten ein „sich selbst beim Sehen zuzusehen“ („seeing yourself see“) zu erreichen, trifft im Falle von Light Shaft II nur bedingt zu. Das Werk war schon zu Beginn seiner Einrichtung nur sporadisch eingeschaltet und ist seit geraumer Zeit – wohl aufgrund von Besitzerwechseln des Gebäudes – vollständig außer Betrieb. Wir dürfen zumindest die Hoffnung äußern, dass diese ortsspezifische Arbeit eines der international bekanntesten Lichtkünstler aus seiner Hibernation geholt und reinszeniert wird. So würde das Stadtbild im neuen alten Licht erscheinen und seine Strahlkraft auch über Frankfurts Grenzen hinaus für die Region entfalten.

Denn selbst wenn das Werk an sich durch seine Installation im Gebäude selbst noch existent ist und durch regelmäßige Wartung am Leben erhalten würde, bleibt dennoch die Frage nach der Existenz: Existiert ein Lichtkunstwerk, wenn es nicht leuchtet?

 

Katarina Haage

 

 

Christian Uitz

Illumination Friedberger Warte, 2018

© beide Abbildungen und Fotos: Christian Uitz, Büro Raumlabor, Frankfurt am Main 

Friedberger Warte

Friedberger Landstraße 414 / Nordend

Tram Friedberger Warte 

 

Fährt man bei Dunkelheit auf der Friedberger Landstraße stadtauswärts, tritt schon von Weitem das Licht der Friedberger Warte in den Blick. Heute inmitten der städtischen Bebauung, fand sich die Friedberger Warte noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts außerhalb der Stadt. Sie gehört zu einem Schutzwall, der, anders als die Stadtmauer und die dicht an der Innenstadt gelegenen Wehrtürme, nicht der unmittelbaren Verteidigung diente, sondern vielmehr als Kontroll- und Wachposten, von dem aus das umliegende Land beobachtet werden konnte. Gefahren wie heranziehende Heere oder größere Aufmärsche konnten rechtzeitig der Stadtverwaltung gemeldet werden.

Die im späten 15.  Jahrhundert errichtete Anlage besteht aus einem rechteckigen Wehrhof, um den sich rundum eine aus Feldsteinen errichtete Mauer zieht. Sie riegelt das Areal ab. Lediglich an Westseite, an der sich das Wachhaus mit Küche und Brunnenstube befindet, erscheint die Anlage weniger hermetisch. Besonders markant ist der die Funktion der Warte begründende Wach- und Wehrturm, dessen spitz zulaufendes schiefergedecktes Dach offenkundig auf eine spätere Bau- oder Erneuerungsphase zurückgeht.

Auch wenn seit 1815 die Friedberger Warte ein Ausflugslokal beherbergt, hat die Anlage doch nichts von ihrer Wehrhaftigkeit signalisierenden Anmutung eingebüßt. Auflockerung und Wärme verleiht ihr die Lichtarbeit von Christian Uitz, der als Lichtplaner und Lichtgestalter mit der Firma Raumlabor in Frankfurt ansässig ist.

Akzentuiert gesetzte Beleuchtung

Die Beleuchtung von historischen Gebäuden, um sie bei Nacht weithin sichtbar macht, wird seit vielen Jahren praktiziert. In vielen Fällen geht es dabei um eine weitgehend gleichmäßige Ausleuchtung, die den Baukörper in seinem vollen Umgang hervorhebt. Einem solchen Ausleuchtungsprinzip steht der von Uitz gewählte Ansatz entgegen. Die Anlage wird nicht gleichförmig von außen angestrahlt. Vielmehr sind umlaufend um die Wehrmauer in regelmäßigen Abständen im Boden Leuchten versenkt, die die Mauer partiell in Licht tauchen. Aus der Ferne betrachtet, tritt das Gemäuer in nebeneinanderliegenden Lichtbündeln in Erscheinung, wobei das von unten auf die Mauern gerichtete Licht den Blick nach oben führt. Durch eine solche Lichtführung wird vor allem die Ausdehnung in die Höhe betont und rückt die ehemalige Bedeutung der Anlage in den Fokus. Als Wehr-, Wach- und Kontrolleinheit dominierte sie nicht nur durch ihre Funktion, sondern vor allem durch ihre Erscheinung ihre gesamte Umgebung. Zieht man weiterhin in Betracht, dass im 15. Jahrhundert das Land kaum bebaut war und die wenigen Gebäuden in Gehöften und Katen bestanden, bildete die gesamte Anlage mit ihrem Gemäuer eine markante Erscheinung in der Landschaft.

Während das Licht an der Wehrmauer so zwar segmentiert, in Summe aber doch gleichförmig in Erscheinung tritt, akzentuiert es am Wehrturm wesentliche Elemente der Architektur, so den Turmschaft mit seinem umlaufenden Zierkranz, dessen gotisierende Ornamentik kleine Rundbögen andeutet und die Gleichförmigkeit des Gemäuers unterbricht. Das architektonische Element wird weiter oben am Turm von der Lichtinstallation aufgegriffen. Hier sind die Lichtquellen so montiert, dass sie als Lichtkranz unterhalb der durch den schindelgedeckten Aufbau gebildeten Vorsprünge sichtbar werden.

Ein weiteres und letztes Lichtelement gilt dem Frankfurter Adler, dem Wappen der freien Reichsstadt. Das in Sandstein gehauene Wappentier wurde allerdings erst zu Beginn des 20. Jahrhundert, 1908 auf einer separaten Platte an der Außenmauer installiert.

Materialabhängige Wahl der Lichtfarbe

Der gesamten Ausleuchtung ist ein System unterlegt, das es ermöglicht, die einzelne Leuchtelemente separat anzusteuern und so zu einem im Ergebnis homogenen, statischen Lichtbild zu gelangen, bei dem es an keiner Stelle zu Überstrahlungen kommt. Der Gesamteindruck stand auch bei der Wahl von Lichtfarbe und -intensität vor Augen. Beide sind an der Materialität der Oberflächen ausgerichtet, also am Naturstein des Gemäuers, dem Putz am Turm und dem Schiefer der Schindel der Dachverkleidung. Während auf die gelbliche Putzoberflächen warmes Licht gerichtet ist, sind andere Elemente wie das Blau-Grau der Dachschindeln in kühleres Licht getaucht.

Frage nach dem Wesen von Kunst

Das gezielt auf die Architektur ausgerichtete Licht wirft zugleich die Frage nach der Kategorisierung des Gesamtwerkes auf, also die nach dem Wesen von Lichtkunstwerken und ihrer Abgrenzung zu Licht, das durch effektvollen Einsatz dazu bestimmt ist, die Architektur zu heben. Eine solche Frage zielt nicht auf eine Wertung, vielmehr wirft sie eine in der Kunst verhandelte Grundsatzdebatte auf, die so unterschiedliche Begriffe wie den der „Aura“, den Walter Benjamin mit Blick auf den Unterschied von Original und Reproduktion aufbrachte, oder den einer „vom Geist des Kunstwerks durchtränkten Atmosphäre“, wie sie in den Erörterungen von Arthur Danto unter dem Blickwinkel der Verklärung des Gewöhnlichen zur Sprache kommt, oder Nelson Goodman, der in Sprachen der Kunst über die Äquivalenz von Beschreibung und Werk nach der Repräsentativität fragt.[1]

Neben der Signifikanz der Form führt Danto als Eigenschaft eines Kunstwerkes eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck an. Eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck impliziert immanenten Eigenschaften, die zwar das Wesen des Werkes bestimmen, die aber nicht an funktionalen Kriterien gemessen werden können.[2]

Zweifelsohne dienen die Lichtelemente an der Friedberger Warte nicht einer Ausleuchtung oder gar einer Beleuchtung. In dieser Hinsicht sind sie zweckfrei. Gleichwohl besteht ihr Zweck in einer Interaktion mit der Architektur, die ihrerseits die Ausrichtung des Lichtes vorzugeben und festzulegen scheint. In dieser Hinsicht erfüllt das Licht eher eine dienende, zweckmäßige Funktion – und so wäre im Sinne Dantos weniger von einem Kunstwerk denn von wohlüberlegter, technisch gut gemachter Lichtgestaltung zu sprechen.

Christian Uitz versteht sich als Gestalter. Nach einem Studium der Innenarchitektur war er zunächst als Lichtplaner tätig, bevor er 2014 seine Firma Raumlabor gründete. Licht betrachtet er weniger als ein eigenständiges Material, als vielmehr eines, das architekturbezogen seine Wirkung entfaltet. Dieser Auffassung folgend setzt er Licht ein, um Dreidimensionalität und Plastizität zu unterstreichen. Licht unterstützt die Wahrnehmung, hilft dem Auge zu sehen. In dieser Hinsicht unterscheidet Uitz mit Licht zum Sehen, Licht zum Hinsehen und Licht zum Ansehen drei Funktionen von Licht, denen jeweils eine eigene Lichtqualität entspricht.

Im Stadtraum Frankfurt ist Uitz mit Raumlabor mit verschiedenen Projekten präsent, darunter der Entwurf für die Beleuchtung der S-Bahnstation Gateway Gardens oder die Illumination des Hauptportals am Frankfurter Hauptbahnhof, die allerdings nur sporadisch rund um den 18. August – dem Eröffnungsdatum des Bahnhofes 1888 – zu sehen ist.

 

Viola Hildebrand-Schat

 

Weitere architekturbezogene Lichtinstallationen:

Peter Kulka Architektur, Lichtwand, 2015, Eurotheum, Neue Mainzer Straße 66-68 / Innenstadt

Lichtplan, Robin Uber, Bauhaus „goes“ Mondrian, 2016, Mainova AG, Umspannwerk Lübecker Str. / Eschersheimer Landstraße, Eschersheimer Landstraße 414 / Westend

Thomas Emde, Lichtinstallation, 1999, Commerzbank-Tower, Kaiserplatz / Innenstadt

Thomas Emde, Lichtinstallation, 2010, Kaiserdom St. Bartholomäus, Domplatz 1 / Altstadt

 

[1] Arthur Danto: Die Verklärung des Gewöhnlichen. Eine Philosophie der Kunst, Frankfurt am Main 1991.

[2] Ebenda.

Leo Villareal

Volume (Omniturm), 2019

© beide Abbildungen: Leo Villareal, Fotos: Klaus Helbig

35.136 LEDs, Individualsoftware und elektrische Hardware, 488 Stäbe aus verspiegeltem Edelstahl

Omniturm, Foyer

Große Gallusstraße 16-18 / Innenstadt

S, U Roßmarkt

Durch das langgezogene Foyer des Omniturmes parallel zum Verlauf der Großen Gallusstraße erstreckt sich die imposante Arbeit Volume (Omniturm) von Leo Villareal. Imposant ist sie in ihrer räumlichen Ausdehnung ebenso wie in ihrem Materialaufwand. Verarbeitet sind insgesamt 35.136 weiße LEDs und 488 verspiegelte Edelstahlstäbe, die das Grundgerüst für das rund 5 Meter breite und 30 Meter lange Objekt bilden. Die Stahlstäbe hängen senkrecht von einem unter die Decke montierten Träger ab, wobei die Abstände zueinander, sorgfältig austariert, vollkommen regelmäßig sind. Dabei gibt bereits der aus zwei längslaufenden und 61 Querstreben gebildete Träger eine gleichförmige Struktur vor. An jeder Querstrebe kommen acht Stahlstäbe zu hängen, die wiederum an einer ihrer vier Kanten über die ganze Länge hin mit Lochbohrungen versehen sind. Durch sie dringt das Licht der in die Stahlstäbe eingebetteten LEDs. Dieses Licht wird gleichzeitig von der spiegelnden Oberfläche der angrenzenden Stäbe reflektiert, so dass das ganze Objekt wie ein aus vielen Lichtpunkten gebildeter, frei unter der Decke des Foyers schwebender Kubus erscheint. Gleichzeitig scheint das Werk in ständiger Bewegung – ein Eindruck, der durch das unregelmäßige Aufleuchten der einzelnen LEDs entsteht. Dabei scheinen die Lichter von einem Stab auf den nächsten überzuspringen und stellenweise regelrechte Lichtfelder zu bilden, während andere Stelle in einen Dunkelraum tauchen.

Programmiertes Licht

Die Frequenzen und Rhythmen für das Aufleuchten der einzelnen LEDs sind durch eine eigens vom Künstler entwickelte Programmierung festgelegt. Sie erfolgte in Reaktion auf die Spezifik des Ortes. So hatte der Künstler vor Ort verschiedene Blickachsen geprüft, um davon ausgehend das Licht so zu steuern, dass die Arbeit von allen denkbaren Standpunkten aus wirkungsvoll in Szene tritt. Weiterhin berücksichtigte er den natürlichen Lichteinfall. Das Licht seines Objektes wird dabei so gesteuert, dass es dem vorhandenen Licht nicht entgegenwirkt, sondern vielmehr davon ausgehend lediglich eine Sequenz heller erscheint. Entsprechend strahlen die LEDs tagsüber heller als bei Dunkelheit, so dass das Lichtobjekt in jedem Fall seine Umgebung dominiert. Schließlich soll es von der Straße wie vom Innenraum aus gleichermaßen den Blick auf sich lenken.

Als Vorbild für das Gesamterscheinungsbild, das der Künstler anstrebte, mögen ihm Schwärme von Glühwürmchen, das Licht von fernen Galaxien oder eines Sternenhimmels vor Augen gestanden haben. In jedem Fall wollte Villareal die Statik des materiellen Körpers durch ein dynamisches Element brechen. Dynamisch reagiert nicht nur das Licht der LEDs auf die Umgebung, auch der Künstler kann theoretisch jederzeit eingreifen und die Programmierung verändern, ohne vor Ort zu sein.

Balancierte Bewegung

Die durch das Licht assoziierte Bewegung ebenso wie die spiegelnden Oberflächen lassen die Masse des verarbeitenden Stahls vergessen. Eine weitere Polarität besteht in den Vertikalen der einzelnen Stäbe und der Längsausrichtung des Objektkörpers. Im Gesamteindruck erinnern die einzelnen Stahlstäbe an aus der Höhe herabfallende Fäden, während die Konstruktion, die nahezu die gesamte Länge des Foyers bespielt, die Horizontale betont. Paradoxerweise setzt sich keine der Gewichtungen durch, weil sich der/die BetrachterIn von jedem Standpunkt aus gleichermaßen den Einzelelementen wie dem Gesamteindruck ausgesetzt sieht. Gleichermaßen von außen wie vom Innenraum her zu sehen, ist Villareals Lichtobjekt auf einen Dialog hin angelegt, der der Offenheit des Foyers des Omniturms entspricht. Vollständig verglast scheint es die Trennung von Innen und Außen aufzuheben und die Übergänge fließend zu gestalten. Immerhin ist der Sockelbereich des Turms öffentlich zugänglich und soll – so die Intention der Architekten – mit den Publikumsbereichen der im Bau befindlichen Nachbarhäuser Four Frankfurt stadträumlich korrespondieren.

Sind Lichtkunstobjekte kunstgeschichtlich weitgehend etabliert, so ist die Kombination aus Licht und Programmierung ein mit der Digitalisierung im 21. Jahrhundert zunehmend präsenteres künstlerisches Gestaltungsmittel, dessen Potential Villareal schon früh in seiner künstlerischen Laufbahn nutzte. So interessierte ihn von Anbeginn an die Kodierung von Raum und Zeit, wie er selbst die Grundzüge seines Vorgehens bezeichnet. Gemeint ist damit eine computergesteuerte Beherrschung des Werkes, die es dem Künstler erlaubt, jederzeit einzugreifen und zu verändern. Damit ist die Darstellung einer Kombination aus Licht, Zeit und Raum nicht mehr rein illusionistisch wie etwa in der Malerei, vielmehr ist ihr Zusammenwirken zu einem programmierbaren und beliebig beeinflussbaren Faktor geworden.

Großprojekt von Villareal in London

Seine erste nach diesen Prinzipien ausgerichtete Arbeit stellte Villareal anlässlich des in der Wüste von Nevada alljährlich ausgerichteten Festivals Burning Man vor. Dieser Arbeit lag eine binäre Kodierung zugrunde, die lediglich ein Ein- oder Ausschalten der einzelnen Lichtquellen ermöglichte, aber die Weichen stellte für computergesteuerte Lichtsequenzen als zentralem Faktor seines weiteren Vorgehens.[1] Seither sind Villareals Lichtprojekte zunehmend komplexer geworden. Die anfänglich verwendeten Glühbirnen weichen LEDs, die nicht nur unter energetischem Gesichtspunkt zeitgemäßer sind, sondern zusätzlich noch weit mehr Möglichkeiten bieten, Farbe und Lichtintensität zu modellieren. Zu den jüngsten und wohl prominentesten Arbeiten Villareals gehört Illuminated River, ein die Themse-Brücken innerhalb Londons verbindendes Lichtprojekt. Mit Unterstützung der Illuminated River Fondation will Villareal bis 2022 insgesamt 14 Brücken illuminieren, von denen die ersten vier 2019 in das von Tausenden von LEDs emittierte Licht getaucht waren. Mit dem Projekt sind nicht nur die einzelnen Brücken einem Gesamtkonzept unterworfen, sondern auch die angrenzenden Stadteile mit ihrer Bevölkerung eingebunden.

Programmierung als Möglichkeitsraum

Innerhalb des breiten Spektrums, das Villareal als inspirierend für sein eigenes Schaffen anführt, dabei so unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten wie Sol LeWitt, Dan Flavin, Jenny Holzer oder Jeff Koons als wegweisend nennt, sind von einer Grundform ausgehende Variation, Sequenzialität und Progression wesentliche Elemente. Auch wenn sowohl Licht als auch Programmierung in der zeitgenössischen Kunst vermehrt zum Einsatz kommen, ist die Art und Weise, wie sie in Villareals Werken miteinander interagieren, noch vergleichsweise neu. So ist für den Künstler die Kodierung mittels eines Algorithmus essenziell, wohingegen die Art und Weise, wie das Licht schließlich in Erscheinung tritt, sekundär ist.[2] Der programmierte Algorithmus zielt weniger auf ein endgültig abgeschlossenes Werk als dass er vielmehr einen Raum der Möglichkeiten eröffnet, dessen Ausgestaltung im Einzelnen sich sogar dem Künstler entzieht. Dies vollzieht sich auf einer unsichtbaren Ebene, der dem Werk unterlegte Algorithmus bleibt sozusagen unzugänglich, bestimmt aber wesentlich das Erscheinungsbild, weil durch ihn das Aufleuchten der Lichtkörper festgelegt ist. Der Mikrokosmos der Programmierung tritt im Falle von Villareal in einem gigantischen Objekt zutage. Mit der Fokussierung auf die Programmierung unterscheiden sich Villareals Werke von solchen, die den Leuchtkörper selbst als wichtigstes Ausdrucksmedium betrachten.

Das dem Künstler eigene Vorgehen gründet bereits in seiner Ausbildung. Eine für seine künstlerische Entwicklung wichtige Station war die Mitarbeit an einem Medienprojekt von Michael Naimark bei Interval Research Cooperation, dem 1992 von Paul G. Allen zusammen mit Microsoft und David E. Liddle gegründeten Technologieforschungsinstitut. Ausgehend von Filmaufnahmen Naimarks zielte das Team auf die Verarbeitung der digitalen Bildinformation, um Realräume im Sinne von Virtual Reality zu simulieren.[3]

Mit ortsspezifischen Arbeiten in der Art von Volume (Omniturm), bei denen Tausende von Dioden so unter der Oberfläche versteckt werden, dass nur ihr Licht sichtbar wird, beschäftigt sich Villareal seit etwa 2005. Für den Eingangsbereich des Nerman Museum of Contemporary Art in Kansas lieferte er 2007 mit Microcosmos eine Arbeit, die die gesamte Decke zu einem dichten Raster aus Lichtpunkten werden lässt. Microcosmos wiederum diente als Vorlage für einen Entwurf, der vorsieht, die Decke in der Abflughalle des Bahrain International Airport mit LEDs in ein glitzerndes Meer von Lichtpunkten zu verwandeln. Eine vergleichbare Arbeit findet sich mit Multiverse von 2008 in der National Gallery of Art in Washington. Multiverse spannt sich von der Decke über die Wandbekleidung eines tunnelähnlichen Durchgangs, der den östlichen Trakt des Gebäudes an den westlichen anbindet. 41.000 LEDs sind hier in die Ritzen zwischen den einzelnen Planken der Wandverkleidung versenkt.

 

Viola Hildebrand-Schat

 

[1] Light and Code as a Medium in the 21st Century | Leo Villareal | TEDxOrientHarbor, in: https://www.youtube.com/watch?v=aQWYvzwXkkM (abgerufen 16.1.2021).

[2] Vgl. Michael Rush: Leo Villareal: Code as Medium. In: JoAnne Northrup (Hg.): Leo Villareal, Ostfildern 2010, S. 37 – 43, hier S. 39.

[3] JoAnne Northrup: Animating Light. In: dies. (Hg.): Leo Villareal, Ostfildern 2010, S. 15 – 35, hier S. 22.

Bill Viola

The World of Appearances, 2000

© Bill Viola, Foto: Wolfgang Günzel, courtesy Helaba

Klang-/Videoinstallation

Helaba, Main Tower, Foyer

Neue Mainzer Straße 52-58 / Innenstadt

U Alte Oper

zur Zeit nur von außen zu betrachten 

Bill Viola, 1951 in New York geboren, zählt zu den wichtigsten Vertretern der Videokunst. Er studierte Experimental Studies an der Syracuse University. Seit den frühen 1970er Jahren setzt er jeweils die neusten technischen Hilfsmittel ein, um seiner Kunst ein ingeniöses Format zu geben. Technik und künstlerischer Inhalt treten in Harmonie auf. Existenzielle Fragestellungen um Tod und Leben, Wiedergeburt und Wahrnehmung begleiten seine Arbeiten. Bill Viola studierte Kunst und elektronische Musik an der Syracuse University unter Jack Nelson und Franklin Morris. In seinen Arbeiten verbindet er häufig die beiden Medien Bild und Klang. Seine Installationen erschaffen bildliche Räume und integrieren die Betrachtenden unmittelbar in das Kunstwerk. Die Bedeutung des Menschseins ist zentrales Thema in Violas Kunst.[1]

The World of Appearances wurde im Jahr 2000 von der Helaba für das Foyer des Main Towers erworben. Es ist die erste Installation Violas, die fest in einem öffentlich-zugänglichem Raum installiert ist. Die Installation ist durch einen metallenen Rahmen entlang des Bodens deutlich eingegrenzt, was noch zusätzlich durch den Hinweis „Bitte Kunstwerk nicht betreten“ unterstrichen wird. Mit ihrem Licht bannt sie förmlich die BesucherInnen des Main Towers. Zwei an der Decke befestigte Beamer projizieren Videosequenzen auf zwei gleichgroße Flächen, die sich an Wand und Boden befinden. Dazwischen ist eine gigantische Glasscheibe angebracht, die diagonal in den Raum hineinragt. Ihr metallener Rahmen schimmert golden im Licht der Projektionen. Er scheint zwischen den parallel laufenden Filmen eine Verbindung zu schaffen – ein Dazwischen. Der tiefschwarze Fliesenboden wird zu einer weiteren Reflektionsfläche. Das Kunstwerk füllt das große Foyer im Main-Tower und geht eine leuchtende Beziehung mit dem Raum ein, indem es das Foyer mit einer bewegter Dreidimensionalität erfüllt.

Alles fließt

Die Videosequenzen zeigen Bilder über- und unterhalb einer Wasseroberfläche. Die BesucherInnen haben eine indirekte Sicht auf das Geschehnis. Sie blicken auf die Reflektion auf einer Wasseroberfläche oder betrachten die Vorgänge unter Wasser. Schillernd bunte Farben vermischen sich auf der liquiden Leinwand. Regentropfen zeichnen exakte Kreise und enden ihre Performance in einem wilden Tanz etlicher Wogen. Die Videos zeigen die Schnittstelle des Elements Wasser und des Elements Luft. Dazwischen befindet sich der Mensch. Ein Mann stürzt sich mehrere Male in Slowmotion in das Nass. Er wird wie von einer unsichtbaren Anziehungskraft in das Wasser hinein gesogen und wieder hinausgezogen. Jedes Mal verschwindet sein gesamter Körper in den Fluten. Er hinterlässt eine Spur aus sprudelnden Luftteilchen, die zurück in ihr gewohntes Element schweben. So scheint das Kunstwerk durch die Filmsequenzen ständig in Bewegung, obwohl die Installation selbst statisch ist.

Das von den beiden an der Decke installierte Beamern abgestrahlte Licht erfüllt den großen Raum mit einer Farbigkeit, die sich ganz dezent ändert und damit auch die Atmosphäre der einzelnen Videosequenzen vermittelt. Die Installation nutzt Licht als passiven Träger der Bilder und gleichzeitig verarbeitet sie eine Idee des „klaren Lichts“. Dieser Zustand wird durch Meditation im Buddhismus erreicht. Die Installation ist umgeben von einer liquide rauschenden und glucksenden Klangkulisse. Sie ist Teil des Kunstwerks und füllt den großen Raum mit auditivem Nass. Auch außerhalb des Sichtfelds macht sich The World of Appearances so bemerkbar und strahlt Ruhe in den Durchgangsraum.

Im Zentrum der Arbeit steht das Element Wasser. Wir sehen Wasser – wir hören Wasser. Das nasse Element ist ein Symbol für den Zyklus des menschlichen Lebens. Geburt – Tod – Wiederauferstehung. Wasser ist immer in Bewegung genau wie das Medium Film. Im Video gibt es kein Standbild – seiner Physis entsprechend ist es immer in Bewegung, eine Verkörperung von Heraklits‘ Diktum „Alles fließt“ und die Abbildung von Buddhas „Alles Leben ist Veränderung.“[2] Wasser ist die Grundlage für Leben. Wasser hat eine enorme Zerstörungskraft. Die Welt der Erscheinungen ist durchwoben von Transformationen – nichts ist wie es scheint. In Violas Installation benetzt ein flüssig-waberndes Bild die zwei Projektionsflächen in bunt-schillernden Farben. Befinden wir uns über oder unter der Wasseroberfläche? Nach Viola ist der Mensch in einem Zustand dauerhafter Veränderung situiert. Der Künstler ist vom Sufismus, dem Zen-Buddhismus und dem Christentum beeinflusst und zeigt Komponenten dieser Weltanschauungen in seinen Werken.[3] Bill Viola zeigt das Verwundbare, das Menschliche in seinen Werken. Der persische Sufi-Mystiker Rumi [1207-1273] fand folgende Worte für diese Vorstellung[4]: „Eine Wunde ist ein Ort, über den das Licht in Dich eindringt.“

In diesem Sinne lernte Viola aus einer Position der Schwäche heraus künstlerisch zu arbeiten. Der Zen-Buddhismus lehrte ihn ein besserer Kameramann zu sein, der seine Imperfektion akzeptiert. „The most difficult thing to reconcile, in life as well as art, is the gap between the depth of one’s feelings and the limitations of one’s abilities. “[5] Entgegen der Zweifel seiner Dozenten, die seine Arbeiten als nicht ausreichend bezeichneten, fand Viola einen Weg mit eigener Unsicherheit und Selbstzweifeln produktiv umzugehen. Dieser Konflikt wird zum Instrument seiner künstlerischen Praxis und wirkt als verbindende Kraft zwischen Bewusstem und Unbewussten.

Spiel mit Kontrasten

Die Klang- und Videoinstallation stellt einen Kontrast zu der Räumlichkeit dar. Im Main Tower befinden sich mehrere Firmen (darunter die Helaba), ein Restaurant und mehrere Aussichtsplattformen. Das Gebäude steht für Kapital und Wirtschaftsmacht. Im Gegensatz dazu verweist Violas Arbeit auf einen immateriellen Geisteszustand, der durch Entschleunigung und die Rückkehr zu sich selbst erlangt werden kann.

Auf der einen Seite erscheint es widersprüchlich, ein solches spirituelles Kunstwerk im Foyer des Main-Towers auszustellen. Andererseits zeigt sich die Wirkung der Videoinstallation dort besonders deutlich. Vorbeieilende Menschen halten inne, um den bunt-schillernden, bewegten Bildern zu folgen. Im wahrsten Sinne des Wortes entschleunigt Violas Arbeit den Durchgangsverkehr im Eingangsbereich. Auch der glucksende Klang trägt dazu bei. So vermittelt selbst bei viel Unruhe die Licht-Klang-Installation eine Empfindung fließender Schwebe. Die Geräusche von sprudelnden Wassermassen erzeugen ein Gefühl des Unterhalbs, des vom Normalen oder Alltäglichen Abgetrennt-Seins. Die Laute bilden eine Art Blase – getrennt von Routinen und jobbedingtem Tagesgeschehen. Hinzu kommt, dass die gläserne Fassade des Main-Towers den Innen- und Außenbereich mehr oder weniger fließend ineinander übergehen lässt.

Auch der TitelThe World of Appereances“ weist auf den fließenden Übergang hin, deutet er doch eine Welt der Erscheinungen jenseits der als real erfahrenen Gegebenheiten an. Eine Art Parallelwelt zeigt sich in Form von bewegten Projektionen, die einer anderen Zeitlichkeit zu folgen scheinen. Das Kunstwerk entfaltet eine hypnotische Wirkung. Dazu passt auch, dass es sich wie ein fast vier Meter hoher Altar im Raum erhebt.

Meditation als künstlerischer Ansatz

The World of Appearances ist keine ortsspezifische Arbeit. Die Video- und Klanginstallation wurde 2003 in der James Cohan Gallery in New York gezeigt.[6] Sie ist nicht unbedingt der Lichtkunst zuzuordnen, da sie das Medium Licht nur als Übermittler von Bilder nutzt. Allerdings besitzt die Installation eine Strahlkraft und in Kombination mit dem sinnlich-spirituellen Gezeigten erleuchtet sie den Raum und die Menschen darin in einem übertragenen Sinn. Sein Werk im Foyer des Main-Tower ist eine künstlerische Ausdehnung in den Raum. Die Zuschauenden werden unmittelbar in die Arbeit hinein gesogen. Raum und Zeit spielen hier eine wichtige Rolle. Das Publikum erkennt das Kunstwerk nur in Bezug auf das Räumliche und der vergehenden Zeitlichkeit.

Viola bezeichnet sich nicht als Filmkünstler, sondern als Mensch mit einer künstlerischen Praktik, die zu einem intensiveren Bewusstseinszustand verhilft. Das Praktizieren von Meditation ist Teil des Buddhismus und beschreibt tägliche Tätigkeiten der buddhistischen Mönche. Vergleichbar damit ist die künstlerische Methode Bill Violas.[7] Das Medium Film ermöglicht einen verlangsamten Zeitfluss zu erforschen. In vielen Arbeiten Violas ist dieser Slow-Motion-Effekt spürbar.

Obwohl Violas künstlerische Arbeit sowohl Bild als auch Sound umfasst, nutzt Viola nicht immer beide Mittel in Kombination. Arbeiten wie das vierteilige Werk Martyrs aus dem Jahr 2014 sind ohne Klang und zeigen die vier Elemente Erde, Luft, Feuer und Wasser mit verschiedenen PerformerInnen. Vier Plasmabildschirme zeigen jeweils einen Menschen, der sich einem Ansturm eines Elements ausliefert. Das übergeordnete Thema ist das Martyrium als tief sitzende Überzeugungen, begleitet von dem physischen Leidens der, bzw. des Einzelnen.[8]

Die Installationen Violas tragen einen hohen Wiedererkennungswert. Der Mensch steht im Mittelpunkt der Arbeiten, jedoch nicht als Held, sondern als verletzliches Wesen, das der Natur und seinem Selbst ausgeliefert ist.

 

Melina Brinkmann

 

[1]http://www.billviola.com/biograph.htm [aufgerufen am 07/02/2021]

[2]https://www.lionsroar.com/the-light-enters-you/ [aufgerufen am 07/02/2021]

[3]http://www.billviola.com/biograph.htm

[4]https://www.deutschlandfunk.de/der-persische-mystiker-rumi-in-harmonie-mit-sich-selbst-und.2540.de.html?dram:article_id=333134 [aufgerufen am 07/02/2021]

[5]https://www.lionsroar.com/the-light-enters-you/

[6]https://www.jamescohan.com/exhibitions/bill-viola3 [aufgerufen am 07/02/2021]

[7]https://www.lionsroar.com/the-light-enters-you/

[8]https://www.itsliquid.com/bill-viola-martyrs.html [aufgerufen am 04/03/2021]

 

 

Silke Wagner

Grey Turns to Blue, 2013

© beide Abbildungen: Silke Wagner / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Fotos: Wolfgang Günzel, courtesy Galerie Wilma Tolksdorf

Wandinstallation, 466 x 603 cm, Neonröhren, Transformatoren, Holzkonstruktion

Helaba, Main Tower, Kleine Lobby

Neue Mainzer Straße 52-58 / Innenstadt

U Alte Oper

zur Zeit nur von außen zu betrachten

Wer die Aussichtsplattform am Main Tower besichtigt, sollte die großformatige Neonlichtinstallation in der Form von einer großen Wolke, die von dem Schriftzug „Grey turns to blue“ gebildet wird, nicht übersehen. Die von der in Frankfurt lebenden Künstlerin Silke Wagner ausgeführte Lichtinstallation befindet sich direkt am Eingang des Foyers an der Wand rechts. Dort zeigt sie sich in ihren unterschiedlichen Qualitäten, nämlich einmal als plastisches Wandobjekt, das jedoch seine Plastizität verliert, sobald es zu leuchten beginnt und sich das Licht im Raum auszubreiten beginnt, wo es vom Boden, der Decke, den Wänden und vor allem der Glasfassade reflektiert wird.

Anlehnung an Rolling Stones-Song

Die Worte „Grey turns to blue“ beziehen sich auf einen Song der Rolling Stones aus dem Jahre 1965. Allerdings hat Wagner die Worte umgestellt und aus „Blue turns to Grey“ das in ihrer Neonarbeit aufscheinende „Grey turns to blue“ gemacht. So spielt die Künstlerin zwar auf die Popkultur an, intendiert aber offenkundig eine andere Aussage. Dass es Wagner weder um eine der Leuchtreklame entlehnte werbliche Aussage noch sonst eine populäre Äußerung geht, wird deutlich mit Blick auf ihr Oeuvre. Wagners Kunst ist zutiefst sozialpolitisch ausgerichtet mit deutlicher Kritik an bestehenden Systemen von Wirtschaft und Politik.

Von dem Song, in dem das Ende einer Liebesbeziehung in das Bild einer grauen Regenwolke gefasst wird, hat Wagner sich lediglich zu der die Wolkenform aufgreifenden Kontur ihrer Arbeit inspirieren lassen. Denkbar ist aber auch ein Bezug auf ein Ereignis, das mit einem der Konzerte der Rollings Stones in Verbindung steht, nämlich einer brutalen Messerstecherei 1969 in Altamont, bei der ein junger Afroamerikaner von den als Ordnern engagierten Hells Angels niedergestochen wurde. [1] Das Geschehen bezeichnete das Ende der unbeschwerten Ideologie der Love and Peace-Generation. Dieser Bezug würde zwar andeuten, wie schnell eine Situation umkippen kann, eine friedliche Manifestation in Gewalt ausarten kann – ein Umschlag, der sich in Wagners Vertauschung von Grey und Blue wiederfände. Dennoch ist damit die Arbeit noch nicht in ihrem vollen Umfang erfasst.

Bereits 2013 hatte Wagner im Rahmen der Ausstellung A work is a work is work in Göppingen eine vergleichbare Arbeit ausgestellt. In Göppingen fasste sie den Satz „Sag mir, was die Blumen sind“ in Leuchtschrift und erinnerte damit an einen 1962 von Marlene Dietrich gesungen und später von Joan Baez aufgegriffenen Liedtext. Das Lied wurde zu einem Inbegriff der Friedensbewegung der 1960er Jahre. Wagner hat wiederholt die Symbole von Arbeiter- und Studentenprotesten der 1960er und 1970er Jahre in ihre Lichtkunstarbeiten aufgenommen.[2]

Gesellschaftspolitische Fragestellungen

In einem Interview brachte Wagner deutlich zum Ausdruck, dass für sie eine zentrale Aufgabe der Kunst darin bestehe, gesellschaftspolitische Fragen und Entwicklungen aufzugreifen und mit den Mitteln der Kunst zur Diskussion zu stellen.[3] Die von Wagner eingesetzten Mittel sind höchst subtil. So hat sie beispielsweise einem Kleinbus Aufsehen erregt, der äußerlich dem von der Lufthansa auf den Flughafengeländen eingesetzten glich, jedoch anstelle der von der Fluggesellschaft bestimmten Aufschrift „Lufthansa Deportation Class“ trug, womit die Künstlerin auf die Abschiebepraktiken von Flüchtlingen und AsylbewerberInnen hinweisen wollte, bei denen die Fluggesellschaften und nicht zuletzt die Lufthansa eine Rolle spielen.

Welche Bedeutung hat es also, wenn Wagner ausgerechnet für das Foyer einer Bank eine Arbeit entwirft, die einerseits die Leuchtschriften der Werbung und die Popkultur zitiert, die Künstlerin aber andererseits ihrer sozialkritischen Ausrichtung treu bleiben will?

Zunächst einmal fällt auf, dass Leuchtreklame unmittelbar mit kommerziellen Belangen verknüpft ist, und der Handel wie das gesamte Geschäftsleben in den Banken einen zentralen Partner hat. Handels- und Geldmacht sind untrennbar miteinander verknüpft. Die Umkehrung der Aussage scheint einen Wandel der Beziehungen in Aussicht zu stellen, insbesondere wenn man das Grau in Anspielung auf die Kleidung der Bankangestellten als Metapher für die Geldmacht fasst. Indem die Bank mit Geld arbeitet, liefert sie die Ressourcen für eine Umwandlung der Finanzen, die zum Guten wie zum Schlechten ausarten kann. Das im Handel eingesetzte Geld kann durch wirtschaftlichen Aufschwung die sozialen Verhältnisse aller aufbessern, es kann aber auch für korrupte Geschäfte eingesetzt werden und das gesellschaftliche Gefüge durch Krisen erschüttern.

Gleichzeitig lässt Wagner aber auch die Spannung deutlich werden, in der die Kunst zu einem Wirtschaftsunternehmen wie der Bank steht. Einerseits übt die Künstlerin mit ihrer Arbeit Kritik an dem System, andererseits profitiert sie aber auch von dem System, indem sie den Auftrag, eine Arbeit für das Foyer zu erstellen, annimmt.

In einer als „systemische Vereinnahmung von Kunst“ zu bezeichnenden Weise entwickelt Wagner mit ihren Arbeiten eine Strategie der Reflexion, wenn es um grundsätzliche Fragen der Freiheit geht. Durch ihre Arbeiten transferiert sie ihre Kritik in den Ausstellungsraum oder eben wie in dem Fall von Grey Turns to Blue in das Foyer einer Bank. Mit dem Bank-Foyer als Handlungsraum nimmt sie wiederum Bezug auf Kapital und Wirtschaft.

 

Quiupu Chen / Viola Hildebrand-Schat

 

[1] Rolling Stones: The Rolling Stones Disaster At Altamont. Hype In The News, URL: https://www.rollingstone.com/music/music-news/the-rolling-stones-disaster-at-altamont-hype-in-the-news-73330/ (25.02.2021)

[2] Zur Ausstellung in Göppingen siehe Ausst.-Kat. Kunstverein Göppingen (Hg.): Silke Wagner. A work is a Work, Göppingen 2013. Weiterhin Einblick in das Werk von Wagner gibt die Publiakation Ausst.-Kat. Marius Babias (Hg.): Silke Wagner (2000 – 2008). Ausstellungskatalog. Neuer Berliner Kunstverein: n.b.k-Ausstellungen, Köln 2008

[3] Raimer Stange: Silke Wagner. Künstlerin, In Kunstforum international, Bd. 235, 2015 S.164.

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